Mein perfekter Sommer
ich über das Steuer hinweg. Er ist immer noch da, döst faul in drei Metern Entfernung vor dem Pick-up herum.
»Ich glaub kaum, dass er das tun wird. Aber du könntest versuchen, ihn zu verscheuchen«, schlägt Livvy vor.
»Womit denn?« In meiner Tasche hab ich ja so allerlei, aber ein Waffenarsenal ist eindeutig nicht auf der Liste. »Ich kann doch nicht mit meinem iPod zu ihm gehen und ihm die aktuelle Katy-Perry-Single vorspielen!«
Sie kichert. »Dann hup doch.«
»Und wenn ihn das wütend macht?«
»Irgendwas musst du tun«, sagt Livvy. »Oder willst du den ganzen Tag da rumsitzen?«
»Du hast recht.« Ich nehme mich zusammen. »Ich versuch’s mal mit der Hupe.« Vorsichtig schlag ich aufs Lenkrad. Der Ton blökt auf die stille Straße hinaus.
»Und?«
Ich schaue wieder raus. »Nichts. Rührt sich nicht.« Ich versuche es noch einmal, aber der Elch wedelt mich nur mit seinem Schwanz an. »Vielleicht ist er taub.«
Livvy lacht. »Und was hast du jetzt vor?«
»Keine Ahnung. Warte mal! Ich glaub, er bewegt sich!« Langsam guckt das Ding von einer Seite zur anderen und macht zögernd einen Schritt nach vorn. »Gut so«, sage ich ihm. »Lauf weiter, geh, spring fröhlich im Wald herum mit all deinen Elchkumpels.«
Er macht noch einen Schritt.
»Nun komm, nur noch ein Stückchen …« Ich halte die Luft an und konzentriere mich darauf, dass er weitergeht.
»Funktioniert es?«
»Beinahe … fast … weg ist er!«, brülle ich triumphierend, als das Tier langsam in den Wald trapst. Erleichtert atme ich durch.
»Mann, Cash wird es nicht glauben.« Livvy seufzt. »Dein zweiter Tag und du kriegst schon einen Elch zu sehen.«
Ein Frösteln überläuft mich. »Nächstes Mal werd ich dann von einem Wolfsrudel in Stücke gerissen.«
»Gibt es da Wölfe?«
»Hm.« Ihre Begeisterung ignoriere ich komplett.
»Wie toll ist das denn! Oh, he, ich muss jetzt packen. Morgen fahre ich los, aber ich ruf dich an, sobald ich mich eingelebt hab!«
»Vermiss dich«, sag ich mit einem schmerzlichen Gefühl.
»Tschüss, Süße.«
9. Kapitel
Nachdem ich nun über die Gangschaltung und einen missmutigen Elch triumphiert habe, verschwende ich an die Jungs von Stillwater kaum einen Gedanken, solange ich in den Gängen des Eisenwarenladens herumstöbere. Erst als ich an die Kasse komme, wo Grady am voll gestellten Tresen herumfläzt, erinnere ich mich wieder an die wenig herzliche Begrüßung.
»Hi«, sage ich mit strahlendem Lächeln. »Kannst du mir mal helfen?« Grady schaut nicht mal von seiner Autozeitschrift auf. Er hat sich die blaue Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, die irgendein Sportemblem in Gestalt eines fies dreinschauenden Wales schmückt.
»Hab zu tun.«
Ich blinzele. Der Laden ist leer, nichts als ausgeblichenes Linoleum und Regale voll altem Angelköder … »Äh, ich wüsste gern, ob ihr vielleicht Energiesparlampen führt, weil …«
Er geht.
Ernsthaft. Er nimmt einfach seine Zeitschrift und geht
an mir vorbei nach draußen. Ungläubig starre ich ihm nach.
Sein Bruder Ethan kommt aus einem Hinterzimmer. Er trägt ein blau kariertes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und schleppt Insektenspray. Die Dosen lädt er auf dem Tresen ab, ein paar fallen klappernd auf den Boden. »Beachte ihn gar nicht.«
»Was …? Ich mein …« Rätselnd schaue ich mich um. »Was hab ich denn gemacht?«
»Abgesehen davon, dass du gestern Abend total ausgeflippt bist?« Ethan wirft mir einen wissenden Blick zu, die Haare fallen ihm in die Augen. »Weiß nicht, möglicherweise hast du uns ja blöde Dorftrottel ohne Sinn für Humor genannt …«
»Gar nicht wahr! Und er war nicht mal dabei!«
Er zuckt nur träge mit den Schultern. »Ist ja auch egal. So ist Grady meistens. Was brauchst du?«
Ich gebe ihm die Liste. »Solche Sachen hab ich nicht gesagt«, betone ich noch mal. Das macht mir Sorgen. »Das würde ich nie tun.«
»Tja, aber gedacht hast du’s.« Ethan scheint das nicht zu kratzen. »Die haben wir vorn, glaub ich.« Er geht ans andere Ende des Ladens. »Das ganze Zeug ist für Susie, oder?«
»Genau.« Plötzlich fällt mir auf, dass sein Ton wirklich freundlich ist. Ich laufe hinter ihm her.
»Sie ist andauernd hier.« Er zerrt eine Leiter heran. »Hält den Laden praktisch am Laufen.«
»Das hab ich mich übrigens auch schon gefragt …« Ich
zögere und schaue aus dem Fenster hinaus auf die ruhige Straße. »Es ist Sommer, aber … wo sind denn die Leute?«
»War dir das nicht
Weitere Kostenlose Bücher