Mein perfekter Sommer
lebenden Tiere brauchen Land für ihre …«
»Siehst du da irgendwelche Gebäude, Kind?«, unterbricht Mr. Coombes mich. »Irgendwelche Baustellen oder Schnellstraßen?«
»Nein …«
»Und so wird es auch bleiben. Aber wie soll ich das bezahlen?« Als er mein Gesicht sieht, schmunzelt er wieder. »Zurück zur Natur, das ist ja alles gut und schön, aber ich hab schon vor langer Zeit gelernt, dass man nur weiß,
was in diesen Wäldern vorgeht, wenn sie einem selbst gehören.«
»Sie … schützen also das Tal?« Verwirrt schaue ich Mr. Coombes an. »Aber das ist immer noch keine Erklärung, warum Sie Blue Ridge aufgemacht haben. Immerhin sagen Sie in Ihrem Buch: ›Jedes neue Gebäude ist eine Schande für die ganze Landschaft!‹«
»Damals dachte ich, alles wäre ganz einfach, nicht wahr? Die Torheit der Jugend!« Als ob er Mitleid mit mir hätte, tätschelt er mir den Arm. »Wenn du älter bist, wirst du das verstehen.« Er will gehen, aber ich halte ihn zurück, denn ich fühle mich immer noch verraten.
»Erklären Sie es mir doch jetzt.« Als ob er das könnte. Ich weiß, dass Leute andauernd ihre Prinzipien verraten, weil sie es sich leicht machen wollen im Leben, aber ich kann einfach nicht glauben, dass jemand, der so leidenschaftlich ist wie Jeremiah B. Coombes, Blutgeld annehmen würde. Was ist mit ihm passiert?
Er bleibt stehen und schaut hinaus auf sein Tal, und seine Antwort kommt langsam und deutlich. »Manchmal, Kind, kannst du mit deinen Idealen nicht das kleinste bisschen ändern. Dir geht auf, dass es keine einzig richtige Antwort gibt, es geht immer nur darum, unter vielen Möglichkeiten zu wählen.«
Ich blinzele. Welche selbstgerechte Verteidigung ich auch erwartet haben mochte, so was war es nicht gewesen. »Aber … natürlich kann man etwas ändern! Das können wir alle!«
Er guckt mich freundlich an. »Natürlich, Kind. Du kannst Sprechchöre anstimmen und Spruchbänder schwenken, wenn es dir dann besser geht, aber das hier ist die Realität. Die Leute in dieser Gegend, die brauchen Arbeit und Umsätze, und ich brauche das Geld und am Ende … Es ist ein Kompromiss, mit dem ich gut leben kann.«
Mit einem Kopfnicken wendet er sich zum Gehen. »Ich lass dir ein Geschenkpäckchen zurechtmachen, vielleicht das Wonne-Sprudelbad-Set!«, ruft er mir zu. »Meine Angestellten sagen, das ist ein Traum.«
Auf der Rückfahrt nach Stillwater denke ich die ganze Zeit an die Neuerfindung von Jeremiah B. Coombes. Ich weiß, was Olivia und die anderen Green Teens über ihn und seine zynische Selbstrechtfertigung sagen würden, aber ich bin mir nicht mehr so sicher … Ob ich mich wohl weniger betrogen fühlen würde, wenn ich dieses Buch nicht mit mir rumgeschleppt hätte – wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, ihn als Menschen zu kennen? Ich überlege. Natürlich würde ich das, sage ich mir dann. Er ist der Inbegriff all dessen, wogegen unsere Gruppe sich stellt.
»… du auch? Jenna?«
»Was?« Ich werde wach, als wir auf die Einfahrt abbiegen.
»Möchtest du Eintopf oder meine drei-Käse-Makkaroni?«, will Susie wissen.
»Egal!«, sage ich fröhlich und versuche, nicht mehr an Jeremiah B. Coombes zu denken. Als ich aus dem Auto steige, sehe ich aus dem Augenwinkel jemanden auf der
Veranda. »He, Fi, hat Grady gesagt, dass er mit den anderen rüberkommt oder …«
»JENNA!« Eine vertraute zierliche Gestalt winkt mir aufgeregt. Völlig verblüfft sehe ich zu, wie Olivia eine pralle Reisetasche fallen lässt und durch den Garten auf mich zuläuft. Sie stürzt sich auf mich und umarmt mich. »Mannomann, wie geht es dir denn?«
31. Kapitel
Verwirrt starre ich sie an. Einen Moment lang denke ich, Opfer einer durch eine Überdosis Schokolade ausgelösten Halluzination zu sein, aber die Arme, die meine Taille umschließen, fühlen sich echt genug an.
»Was soll das? Also … Was machst du hier?« Schließlich gelingt es mir, mich loszumachen. Olivia grinst mich an, als wäre nichts dabei, hier einfach so aufzutauchen, ohne Vorwarnung, einen ganzen Kontinent von zu Hause weg. Ich glaub es einfach nicht.
»Genau«, sagt Susie, sie verschränkt die Arme vor der Brust und schaut zwischen uns hin und her. Ihre Lippen sind fest aufeinandergepresst. »Erzähl uns mal, was hier los ist.«
Hinter mir höre ich Fiona höhnisch kichern: »Und da muss dir schon was Gutes einfallen.«
Olivia lässt mich los und dreht sich zu Susie um. »Susie, wie schön, dich wiederzusehen!«
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