Mein perfekter Sommer
sich um. In seiner Brusttasche blitzt ein Tuch, frisch und gefaltet, in seinen Augen ein lebhaftes Funkeln. »Was kann ich für dich tun?«
Mir klappt der Kiefer runter. »Sie sind es!« Blinzelnd schaue ich ihn an und versuche diesen vornehmen Herrn mit der rauen, nüchternen Stimme in Einklang zu bringen, die ich beim Lesen seines Buches immer im Kopf hatte. »Ich habe Ihr Buch gelesen. Wow, ich kann gar nicht glauben, dass Sie es wirklich sind!«
Mr. Coombes sieht mich an, freundlich, aber eindeutig ohne jede Peilung.
»Das Überlebenshandbuch?«, sage ich langsam. »Für Bergbewohner? Es hat mir diesen Sommer ungeheuer geholfen!«
Wahrscheinlich war es ursprünglich nicht dazu gedacht, mein Sozialleben zu retten, aber ohne das Buch hätte ich vermutlich niemals einen Zugang zu den Jungs von Stillwater gefunden oder gar einen Weg, mit Fiona zurechtzukommen.
»Ha!« Mr. Coombes lacht plötzlich dröhnend los. »Das alte Ding ist immer noch in Umlauf?«
»Ich hab ein Exemplar in diesem alten Buchladen in der Stadt gefunden«, erkläre ich. »Ich glaub, das war noch eines der ersten Auflage.«
Belustigt schüttelt Mr Coombes den Kopf. »Nun ja, mein Kind, dann bitte ich um Entschuldigung.«
Ich runzele die Stirn. »Wie meinen Sie das? Wofür denn?«
»Dafür, dass du dich durch den ganzen selbstgerechten Mist arbeiten musstest!« Er wirft einen prüfenden Blick auf seinen BlackBerry, dabei schmunzelt er immer noch, doch mir will sein abfälliger Ton nicht einleuchten.
»Aber das war nicht so, damit will ich sagen, ich fand das nicht schlimm.« Ich bin völlig platt. Nicht, dass ich gedacht hätte, Jeremiah Coombes würde irgendwo in einer Höhle leben. Vielleicht aber in einer alten Holzhütte an einem Angelsee …
»Es hat dir gefallen, was? Na, schön für dich.« Mr Coombes ist erstaunt. »So, wenn es dir nichts ausmacht, Kind, ich muss weiter. Diese Anlage läuft schließlich nicht von allein.«
»Wollen Sie damit sagen, Blue Ridge gehört Ihnen?« Ich bekomme den Mund nicht wieder zu.
Er zögert. »So ist es, seit etwa einem Jahr jetzt.« Mit unverhohlenem Stolz schaut der Bergbewohner höchstpersönlich auf den Plan der Wellnessanlage, den Souvenirshop und die Schlange soeben eingetroffener Gäste, die mit ihren Bergen von Designergepäckstücken eingetroffen sind.
»Ich versteh nicht …« Ich zwinge mich, den Mund zu halten, schließlich will ich ihn nicht verletzen, aber dann kann ich doch nicht dagegen an. »Ich versteh das nicht. Sie wollten doch immer die Umwelt schützen!« Mir ist klar, wie anklagend das rüberkommt, aber irgendwo ist mir das auch egal.
Den ganzen Sommer hab ich immer gedacht, er wäre so eine Art Wildnisguru und jetzt sehe ich, dass er auch zu so einem Bauunternehmer mit schickem Anzug und gefakten Jagdtrophäen an der Wand geworden ist. Wie konnte dieser Mann zum Verräter werden?
Mr Coombes mustert mich scharf, einen Moment lang frage ich mich, ob ich jetzt rausgeworfen werde. Dann wird sein Blick milder. »Komm mit.«
Argwöhnisch zögere ich, aber er macht eine Kopfbewegung Richtung Terrasse, der Hauptattraktion der gesamten Etage, die sich über die ganze Front des Gebäudes zieht. Im Augenblick wimmeln dort jede Menge Touristen herum, die Fotos von der grenzenlosen Aussicht machen. »Komm mit, es dauert nicht lange.«
Vorsichtig folge ich ihm nach draußen. Die Luft ist kühler geworden, in der Ferne liegt Nebel über den Bergen, daher weiß ich, dass es bald Regen geben wird. Seit dieser Wanderung
mit Reeve habe ich mehr über Himmel und Wetter gelernt.
»Siehst du diesen Gebirgskamm da drüben?« Mr. Coombes zeigt mit seinem Stock auf schroffe Gipfel auf der anderen Seite des Tales. Wir schauen nach Norden, Stillwater liegt hinter uns, und hier gibt es nur Berge, Seen und das Tal, so weit das Auge reicht. Ich nicke langsam. »Das ganze Land von hier bis da oben gehört mir. Jetzt kaufe ich es seit zwanzig Jahren auf und gib mir noch zwanzig, dann gehört mir der Rest auch noch.«
Zufrieden schaut er über sein Reich, aber ich kapier es nicht. »Meinen Sie damit, dass Sie die Anlage noch erweitern werden?« Ich kann mein Entsetzen nicht verbergen. Sämtliche Green-Teen-Protestaktionen sehe ich plötzlich vor mir wie einen Film, den ich auswendig kenne. All die Stunden, die wir damit verbracht haben, wütende Brief und Flugblätter zu verfassen über die Gefahren, die die Zerstörung der Wildnis mit sich bringt. »Aber was ist mit all den Bäumen? Die wild
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