Mein perfekter Sommer
Sie umarmt sie auch und will es sogar bei Fiona versuchen, aber die macht schnell einen Schritt zurück. Unbeirrt stürzt sich Olivia in ihre große Erklärung. »Also, die Protestaktion in Chicago ist abgewürgt
worden, was ja der totale Verstoß gegen unsere verfassungsmäßigen Zusatzrechte ist, und meine Eltern sind natürlich ausgeflippt, aber die sind ja auf ihrer oberumweltschädlichen Kreuzfahrt …«
Während sie redet, mustere ich sie und versuche, all die Veränderungen zu erfassen. Und das sind einige. Sie trägt jetzt Dreadlocks, die wie eine verfilzte Matte an ihrem Kopf kleben. Im Gesicht hat sie einen leichten Sonnenbrand und die Haut schält sich ab, die Augenbrauen wuchern wild und sie trägt ein knallrotes T-Shirt mit dem Aufdruck FLEISCH IST MORD! und klobige Doc Martens. Diese Person hat nichts mit der Olivia gemein, die mich daran erinnert hat, drei verschiedene Sorten Gesichtsreiniger einzupacken, um meine Poren zu pflegen.
»Da dachte ich mir, ich komm mal vorbei! Bis Seattle hatte ich eine Mitfahrgelegenheit und dann hab ich mit der Notfallkreditkarte einen Flug hier raus gebucht«, sagt sie zum Abschluss. Obwohl sie gerade eine Reise von mindestens sechs Stunden hinter sich hat, sprudelt sie immer noch vor Begeisterung über. »Ich hab mir den Busfahrplan rausgesucht und bin dann per Anhalter in die Stadt gefahren. Jenna, das ist ja so gut, dich zu sehen!«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Susie sieht mich mit einem Anflug von Missbilligung an, Fiona feixt unverhohlen, aber ich fühl mich einfach nur … überrannt. Es ist Wochen her, seit ich das letzte Mal mit ihr geredet habe und unser letztes richtiges Gespräch liegt noch länger zurück, doch plötzlich ist sie hier in Stillwater.
»Ich hab ewig nichts von dir gehört«, sage ich schließlich. Meine Stimme ist leise, aber es liegt eine gewisse Schärfe in meinem Ton. Ich weiß, ich sollte mich freuen, aber ich hab sie nicht eingeladen, und damit, dass sie hier auftaucht, habe ich ganz bestimmt nicht gerechnet. Immerhin ist das hier Kanada und mitten in der Wildnis, Hunderte von Meilen entfernt, da kommt man ja nicht einfach so mal vorbei!
Olivia blinzelt. »Ich weiß und das tut mir leid! Es war total verrückt. Deshalb hab ich den weiten Weg auf mich genommen, damit wir von Angesicht zu Angesicht reden können!« Wieder strahlt sie mich an, als ob gar nichts verkehrt wäre.
Und ich steh da, stumm.
»Nun, das müssen wir wohl klären.« Susie kommt in Bewegung. Sie schließt das Auto ab und greift nach Olivia. »Komm mit, wir rufen jetzt am besten mal deine Eltern an. Die sind bestimmt schon ganz krank vor Sorge!« Sie scheucht sie ins Haus, dabei redet sie schon von Futonbetten und Rückflügen. Immer noch völlig geplättet beobachte ich, wie sie davongehen.
»Na, das ist also die berühmte Olivia?« Fiona wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger und mustert mich.
»Ich glaub …«
»Du bist ja nicht gerade entzückt. Ich dachte, ihr wärt so was wie beste Freundinnen.«
Ich antworte nicht sofort. »Dachte ich auch. Vorher …«
Vor was weiß ich eigentlich nicht, aber irgendwas hier fühlt sich nicht richtig an, so als ob zwei verschiedene Teile
meines Lebens plötzlich zusammengeworfen worden wären. Mit einem Seufzer nehme ich meine Tüte mit Wonneschaumbad und folge den anderen nach drinnen.
Olivias Eltern sind so besorgt, wie nicht anders zu erwarten war, nachdem sie von der siebzehnjährigen Tochter eine SMS mit dem Wortlaut erhalten hatten: Fahr jetzt nach Kanada. Später mehr! Nach einer Stunde guten Zuredens scheint Susie erheblich zu ihrer Beruhigung beigetragen zu haben, sie hat ihnen versichert, dass Olivia fortan nicht mehr mit gefährlichen Fremden per Anhalter fahren und Samstag in ein Flugzeug nach New Jersey gesetzt werden wird, dann kommen sie nämlich von ihrer Kreuzfahrt zurück. Da die Ankunft der ersten Gäste unmittelbar bevorsteht, sind all die blitzblanken neuen Zimmer tabu, also mache ich in meinem Zimmer die Luftmatratze für sie zurecht und hole ihre diversen mit Matsch bespritzten Gepäckstücke herein.
»Mach dir nur keinen Stress!«, sagt Olivia, als ich wieder zurück durch die Küche laufe und Bettwäsche für sie holen will. »Ich kann draußen schlafen, wenn nötig. Ehrlich gesagt, das würde mir am besten gefallen, wir haben ja den ganzen Sommer unter den Sternen geschlafen.«
»Aha«, murmele ich und beschließe die Reisetasche in der Wäschekammer zu lassen.
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