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Mein perfekter Sommer

Mein perfekter Sommer

Titel: Mein perfekter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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überhaupt kein Gefühl mehr in den Beinen gehabt.«
    Ich kichere, obwohl ich das gar nicht will. »Wie bist du bloß darauf gekommen?«
    »Das war totaler Zufall!« Sie fängt wieder an in die Pedale zu treten. »Nachdem die Leiter der Kommune sich so irre angestellt haben wegen Cash und seinem Aufstand …«
    »Was war das jetzt?«
    »Die haben überreagiert!«, sagt sie schnell. »Angeblich sollte es da demokratisch zugehen! Na egal, einer der anderen Betreuer hatte Freunde, die in Chicago zusammenkommen wollten, um gegen das Treffen zu protestieren, mit denen sind wir mitgefahren. Das war irre. Wir haben uns an die Tore gekettet und Protestlieder gesungen. Hunderte von Leuten waren gekommen, und am Ende musste die Polizei mit Tränengas und Schutzanzügen ausrücken und die Demo beenden.«
    Mit offenem Mund starre ich sie an, beinahe wäre ich im Graben gelandet. »Ist nicht wahr! Hattest du denn keine Angst?«
    Olivia zögert. »Na, ehrlich gesagt, wir waren gar nicht da, als die Polizei kam. Cash meinte, es wäre besser, wenn wir nicht festgenommen werden würden, du weißt schon, erst mal das Fußvolk vorschicken, damit wir dann die zweite Welle anführen können. Aber ich hab das von der Straße aus beobachtet, das war vielleicht cool!«

    »Gab es Verletzte? Solche Krawalle sehen im Fernsehen ja immer total wahnsinnig aus.« Ich kann es nicht glauben.
    »Doch nur, weil die die ganze Sache so inszenieren!«, posaunt Olivia. »Schließlich müssen die uns als gefährliche Kriminelle hinstellen, damit niemand auf die Botschaft hört, auf die Wahrheit. Die schicken Leute in die Menge, damit sie alles aufmischen, und dann kriegen wir für alles die Schuld.«
    »Öh, wer sind denn ›die‹?«
    »Das Establishment«, erklärt Olivia in einem ist-ja-wohlklar-Ton. »Konzerne, die Polizei, die Regierung. Die stecken da alle unter einer Decke, die schützen ihre Aktienkurse und die Konsumgesellschaft. Wenn die Leute nämlich mal für einen Moment wach werden und darauf achten würden, was wirklich passiert auf der Welt …«
    Ich trete ordentlich in die Pedale, mein Unbehagen wächst. Das sind keine Green-Teen-Parolen mehr, das ist was ganz anderes. Was Schärferes. Fetzen davon hab ich schon früher gehört, von Kids am Rand der Demos, solchen, die nur auftauchen, weil sie einen Grund suchen, Lehrer und Polizisten anzubrüllen. Aber von diesen Krawallmachern haben wir uns immer ferngehalten  – die waren ja nur dabei, weil sie Ärger wollten. Oder?
    »… und es spielt überhaupt keine Rolle, wer Präsident ist, denn die vertreten alle nur bestimmte Interessen und …«
    »Guck doch!«, unterbreche ich sie mit Freuden. »Da sind wir: Main Street, Stillwater, in voller Pracht. Wo willst du anfangen?«, frage ich strahlend, denn ich hoffe damit die Woge antikapitalistischer Tiraden aufzuhalten. »Hier haben
wir das aufregende Landkarten-Center mit integriertem Buchladen.« Ich wedele mit den Armen wie jemand in einer Dauerwerbesendung, springe vom Rad und führe sie den Gehweg entlang. »Heimat einer umfassenden Auswahl an Schundromanen. Und da haben wir auch den Waschbären, der sein Nest dahinter gebaut hat.« Ich drehe mich um. »Oder die Tankstelle dort, mit ihren zwei verschiedenen Sorten Treibstoff und der Slushy-Maschine. Himbeer kann ich nur empfehlen.«
    Olivia schaut sich langsam um. Sie wirkt beinahe enttäuscht. »Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so zugebaut ist.«
    Ich pruste. »Machst du Witze?«
    Sie zuckt die Achseln und schiebt ihr Fahrrad weiter. »Ich mein nur, der ganze Beton hier. Vermutlich ist es unvermeidlich, die Maschinerie der kapitalistischen Industrie zerdrückt alles, was ihr in den Weg kommt.«
    »Ja«, sage ich nur. Wir sind mitten in einem riesigen, von Bäumen bedeckten Tal und sie kann nichts außer den paar Gebäuden sehen, die es hier gibt?
    »Ich weiß nicht. Ich glaub, als du davon geredet hast, wie weit weg von allem das hier ist, hab ich mir wohl eher so was wie … Blockhäuser vorgestellt. Und vielleicht einen Gemischtwarenladen, der Lebensmittel ausliefert.«
    Ich lache. »Wir sind doch nicht im neunzehnten Jahrhundert!«
    »Weiß ich doch!« Sie wird rot und schubst mich. »Vielleicht hab ich zu viel Walden gelesen.«

    »Oh, auch für mich war es ein jähes Erwachen.« Ich lächele, dann gehen wir weiter. »Ich hab mir all diese liebliche Schönheit vorgestellt. Also, die gibt es und das ist auch wirklich schön, aber die Dinge sind … irgendwie doch ein

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