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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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ein Boot
repariert? Oft sprach er im Predigtton über seine Prinzipientreue, über seinen
enthaltsamen Lebensstil: kein Fleisch, keine Zigaretten, kein Alkohol. Als er
eines Abends doch eine Flasche Wein öffnete, begriff ich, warum er das Trinken
in der Regel vermied. Der Alkohol potenzierte seine unangenehmen Seiten, er
machte ihn penetrant, überheblich, reizbar. Natascha, die zwischendurch die
Küche betrat, drehte sich auf dem Absatz um, als sie unsere Weingläser sah.
    Ab dem zehnten Tag begann das Wasser stetig zu sinken. Ich atmete
innerlich auf.
    Am zwölften Tag ging ich morgens mit dem Hund zum Flussufer, als uns
im Wald ein zweiter, herrenloser Hund entgegenlief. Er war weiß und riesig,
ungefähr doppelt so groß wie Tischka. Ich spürte ein Zucken an der Leine. Dann
hörte ich ein düsteres Knurren, bedrohlicher als alles, was ich Tischka je
zugetraut hätte. Bitte nicht, dachte ich. Aber es war zu spät.
    Als es vorbei war, lag Tischka winselnd auf dem Rücken. Ein paar
Zentimeter vor seiner Kehle klaffte das aufgerissene Maul des zweiten Hundes.
Der Sieger gähnte, ließ sein Maul verächtlich ins Leere schnappen und ging
seiner Wege.
    Tischka blutete am Rücken. Er zitterte am ganzen Körper. Als ich
versuchte, ihn zu beruhigen, biss er mir mit voller Kraft in die rechte Hand.
Eine Schocksekunde lang starrten wir uns beide wie gelähmt in die Augen, dann
riss ich meine Hand weg. Tischka sprang auf, schnappte noch einmal zu und
erwischte meine linke Hand. Er biss so fest zu, dass ich sie erst nach ein paar
Sekunden freibekam. Dann lief er in Richtung Flussufer davon.
    Erst an der Böschung holte ich ihn ein. Er stand zitternd im flachen
Uferwasser und sah mich panisch an. Ich setzte mich auf einen Stein und redete
beruhigend auf ihn ein, während sich unter meinen tropfenden Händen eine
Blutpfütze sammelte.
     
    Im Krankenhaus wusch man mir die Wunden aus und
beträufelte sie mit einer smaragdgrünen Flüssigkeit. Der Farbton war mir vertraut.
Auf meiner Reise durch Russland hatte ich ihn oft auf ramponierten
Männergesichtern gesehen und mich immer gefragt, ob die grünen Flecken eine Art
Strafe für Trinker, Schläger und sonstige Übeltäter waren. Warum in Russland
ausgerechnet grünes Desinfektionsmittel verwendet wird, hatte ich nie
verstanden. Die Krankenschwester, die mir die Hände bandagierte, konnte das
Rätsel auch nicht lösen.
    »Wenn es nicht grün wäre«, sagte sie, »dann hieße es doch nicht Seljonka .«
    Seljonka bedeutet wörtlich »Grünlein«. Unser ganzer Dialog klang etwas tautologisch.
    »Aber warum ist ›Grünlein‹ grün?«, fragte ich.
    »Weil es grüne Chemikalien enthält. Sagen Sie bloß, in Deutschland
ist ›Grünlein‹ nicht grün.«
    »Es ist nicht grün, und es heißt auch nicht ›Grünlein‹.«
    Ratlos zuckte sie mit den Schultern. »›Grünlein‹ war schon immer
grün.«
     
    Nach dem Unfall ging plötzlich alles sehr schnell. Am
nächsten Morgen rief Mischa an, der Bootsfahrer. Der Flusspegel war kurz davor,
die schiffbare Marke zu erreichen. Zwei Tage noch und wir konnten losfahren.
    Deprimiert starrte ich meine bandagierten Hände an. Ein paar Finger
waren so geschwollen, dass ich sie kaum bewegen konnte. Ich zwang mich, an
etwas anderes zu denken. Ich hatte zu lange gewartet, um die Reise weiter zu
verschieben – und wer wusste schon, ob der Flusspegel nicht in ein paar Tagen
wieder steigen würde?
    Am Tag vor der Abreise sah San Sanytsch mir ernst in die Augen.
    »Mischa hat gesagt, wir sollen Spirt kaufen.«
    » Spirt? Was ist das?«
    »Industriealkohol. Hundertprozentiger. Wenn man ihn verdünnt, kann
man ihn trinken.«
    »Wozu brauchen wir den?«
    »Als Währung. Mit Spirt kann man in der Taiga alles kaufen. Kann sein,
dass wir unterwegs in einer Jagdhütte übernachten, dann müssen wir die Jäger
bezahlen. Kann auch sein, dass wir an der Grenze zum Naturschutzgebiet bezahlen
müssen.«
    Irritiert sah ich ihn an. »Welches Naturschutzgebiet?«
    Es stellte sich heraus, dass südlich von Abasa die komplette Taiga
unter Naturschutz stand. Um das Gebiet zu betreten, brauchte man eine Genehmigung.
Wir hatten keine.
    »Habe ich das nicht erwähnt?«, fragte San Sanytsch grinsend.
    Ich brauchte ein paar Sekunden, um meinen Ärger unter Kontrolle zu
bringen. Als San Sanytsch es merkte, legte er mir eine Hand auf die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen. Es gibt einen Wachposten an der Grenze des
Naturschutzgebiets, aber der ist unbesetzt, solange der

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