Mein russisches Abenteuer
Fluss nicht schiffbar
ist. Wenn wir den Naturschützern begegnen, dann erst auf dem Rückweg. Und dann
bekommen sie einfach eine Flasche Spirt . Du weißt doch, wie solche Sachen in Russland
laufen.«
Ich wusste es, aber als Ausländer hatte ich mich aus der allgemeinen
Bestecherei immer herausgehalten. Obwohl ich nicht verstand, warum wir nicht
einfach eine Genehmigung beantragt hatten, nickte ich stumm. Es war zu spät für
Diskussionen über Prinzipien.
Den Spirt kauften wir bei einem Nachbarn. Der Mann war sehr wortkarg. Er reichte drei
große, unbeschriftete Plastikkanister über den Gartenzaun und murmelte einen
furchterregend niedrigen Preis. Mit sechs Litern reinem Alkohol gingen wir nach
Hause.
Es wurde eine kurze Nacht. Erst jetzt, nachdem wir zwei Wochen
gewartet hatten, fielen San Sanytsch lauter dringende Reisevorbereitungen ein.
Während wir packten, erklärte er mir ausführlich, wozu wir jedes einzelne
Gepäckstück brauchten, wie man es verwendete und wie aufgeschmissen wir wären,
wenn wir es nicht mitnehmen würden. »Hier. Weißt du, was das ist? Eine Axt.
Schon mal gesehen? Ich sage dir, ohne Axt wären wir verloren. Wie würden wir
Feuerholz hacken, wenn wir keine Axt hätten? Mit den Zähnen? Ein Mensch ist
kein Biber, Jens, ein Mensch braucht eine Axt. Das hier ist der Griff. Den
fasst man mit beiden Händen. Man muss aufpassen, dass man sich nicht in die
Beine hackt …«
Mein Privatunterricht in »Grundlagen sicherer Lebensführung« dauerte
bis in die frühen Morgenstunden. Als die Sonne aufging, riss sie mich aus einem
kurzen, wirren Schlaf. Wir frühstückten, aber richtig wach wurde ich erst, als
wir am Flussufer ankamen. Es war ein klarer, strahlend heller Tag. Lichtreflexe
tanzten in der Strömung. Mein Blick wanderte den Fluss entlang, der sich in der
Ferne zwischen Kiefern und Berghängen verlor. Eine plötzliche Welle der
Euphorie flutete meinen Körper, alle Anspannung der vergangenen zwei Wochen
fiel von mir ab.
Kurz nach uns tauchte Mischa auf, in einem Geländewagen. Er kurbelte
das Fenster herunter und schrie: »Was für ein Morgen, ПИЗДЕЦ ! Was für ein ОХУИТЕЛЬНАЯ Wetter!« Dann setzte er das Auto
rückwärts die Böschung hinab und ließ den Bootsanhänger ins flache Uferwasser
rollen. San Sanytsch und ich wateten in Gummistiefeln in den Fluss. Als sich
das Boot aus der Verankerung löste und frei im Wasser trieb, zogen wir es
gemeinsam auf den Ufersand. Es war ein breites, plumpes Motorboot ohne Verdeck,
in dem gerade genug Platz für drei Personen blieb, nachdem wir unser Gepäck und
den Benzinvorrat an Bord gewuchtet hatten.
Wir quetschten uns ins Boot. Mischa griff unter den Fahrersitz.
Grinsend zog er eine Flasche Wodka hervor. Es war acht Uhr morgens.
»Nein«, sagte ich.
»Doch.«
»Nein.«
» ТВОЮМАТЬ !«
Er ließ drei Plastikbecher volllaufen. Im Nachhinein war ich froh
über die fettigen Spiegeleier, die San Sanytsch zum Frühstück gebraten hatte.
Die Flasche war halb leer, als Mischa endlich den Motor anließ. Ein brutales
Röhren zerriss die morgendliche Stille, lauter als alles, was ich erwartet
hatte. Das Boot schwenkte in die Strömung ein. Einen Moment lang stand es
nahezu bewegungslos auf der Stelle, bevor Mischa den Gashebel durchdrückte. Die
Kiefern am Flussufer setzten sich in Bewegung. Langsam, dann immer schneller
zogen sie am Boot vorbei.
Noch vor der Stadtgrenze überholten wir ein langes, schmales
Holzboot. Drei Männer saßen an Bord, unsere Blicke trafen sich, während wir an
ihnen vorbeizogen. San Sanytsch beugte sich zu mir und überschrie den
Motorenlärm. »Das sind die Wächter des Naturschutzgebiets«, sagte er. »Siehst
du, mit denen werden wir keinen Ärger haben. Unser Boot ist schneller.«
Abrupt endete die Stadt. Wir passierten das stillgelegte Stahlwerk,
dann eine Betonbrücke, dann nichts mehr. Steile Felsen begrenzten den Fluss, an
deren Hänge sich einzelne Kiefern klammerten. Oben war der Himmel, unten
Wasser, links und rechts Stein, geradeaus das dunkle, endlose Grün der Taiga.
Ein schwindliges Glücksgefühl überkam mich, ohne dass ich hätte sagen können,
warum. Vielleicht lag es an der Unausweichlichkeit, mit der das Ziel nun näher
rückte. Vielleicht lag es auch nur am Alkohol.
Bei den ersten paar Bechern dachte ich mir nichts. Auch als Mischa
am Steuer weiter einschenkte, machte ich mir keine Sorgen – die Flasche würde
nicht ewig reichen. Als sie nach einer halben Stunde leer
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