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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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war, warf Mischa sie
fluchend über Bord. Müde und angetrunken lehnte ich mich an meinen Rucksack.
Ich deckte mich mit meiner Jacke zu, um mir den eiskalten Fahrtwind vom Leib zu
halten. Kurz darauf muss ich eingenickt sein.
    Jemand rüttelte an meiner Schulter. Ich schlug die Augen auf. Es war
San Sanytsch. Er hielt mir einen gefüllten Plastikbecher vors Gesicht. Benommen
schüttelte ich den Kopf.
    » ПОШЁЛНАХУЙ !«,
brüllte Mischa über die Schulter. »Trink!«
    Ich nahm San Sanytsch den Plastikbecher aus der Hand. »Was ist das?«
    » Spirt «,
sagte er. »Verdünnt. Mit Zitrone.«
    Aus reiner Neugier probierte ich einen Schluck. Es war mehr ein
Gefühl als ein Geschmack: ein metallisches Brennen, gefolgt von einem penetrant
chemischen Nachhall. Angewidert gab ich San Sanytsch den Becher zurück.
    Eine Weile sah ich den beiden ungläubig beim Trinken zu. Zwischen
San Sanytschs Knien klemmte eine verbeulte Plastikflasche, die er benutzte, um den Spirt mit Flusswasser zu verdünnen. Zerfaserte Zitronenscheiben schwammen in der
Flüssigkeit. Mischa hielt mit der einen Hand das Steuerrad umklammert, mit der
anderen seinen Becher. In regelmäßigen Abständen drehte er sich zu San Sanytsch
um und schrie: »Mach voll!«
    Die Angst kam nicht sofort, sie kam langsam. Ich sah die Felsen, die
knapp unter der Wasseroberfläche schimmerten, und die treibenden Äste, die
Mischa immer wieder zu abrupten Ausweichmanövern zwangen. Der kleinste Fehler
würde das Boot zum Kentern bringen. Wir waren weit entfernt von jeder Siedlung.
Die Empfangsanzeige meines Handys war kurz hinter Abasa auf Null gesprungen.
Niemand würde uns in dieser Wildnis retten.
    Ich beugte mich zu San Sanytsch und überschrie das Motorgeräusch.
»Ich dachte, du trinkst nicht!«
    Er sah mich glasig an. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken
deutete er auf Mischa.
    Ich kletterte über das Gepäck und hockte mich neben den Fahrersitz.
»Mischa«, schrie ich. »Du bist der Fahrer. Hör auf zu trinken.«
    Als er mir das Gesicht zuwandte, war sein Blick voller Hass. »Du
hast ja keine Ahnung!«, schrie er. »Sieh dir mal den Fluss an, НАХУЙ , kapierst du überhaupt,
wie gefährlich der ist? Wenn ich nüchtern wäre, könnte ich hier keinen Meter
fahren, БЛЯДЬ ! Ich
hätte viel zu viel Angst!«
    Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, ob die Geschichte anders
ausgegangen wäre, wenn ich mich anders verhalten hätte. Viele russische Freunde
gaben mir später kluge Ratschläge, was ich hätte tun sollen.
    »Ich an deiner Stelle hätte den Schnaps über Bord geworfen.«
    »Du hättest ihnen eins aufs Maul hauen müssen!«
    »Warum hast du ihnen nicht das Trinken verboten?«
    »Du hättest die Reise abbrechen sollen.«
    Alle diese Optionen gingen auch mir durch den Kopf, während ich
fassungslos an Bord saß. Am Ende verwarf ich sie alle. Ich war den beiden
ausgeliefert. Jeden Konflikt würde ich verlieren. Ich hatte keine Wahl: Ich
konnte nur abwarten und hoffen, dass alles gut gehen würde.
    Resigniert ließ ich den Kopf auf meinen Rucksack sinken und
versuchte, mich auf die Landschaft zu konzentrieren. Greifvögel kreisten über
den Kiefern. Gestürzte Bäume säumten die Flussufer, ihre Wurzeln griffen
verzweifelt ins Leere. An vielen Stellen hatte das Hochwasser tiefe Kerben in
die Berghänge genagt, an deren Rändern Landzungen aus Geröll und erodierter
Erde in den Fluss ragten. Das Bett des Abakan schien keine feste Form zu haben,
es sah aus, als suche sich das Wasser bei jeder Frühjahrsschwemme einen neuen
Weg durch die Berge. Mal teilte sich der Fluss unvermittelt in Dutzende dünner
Nebenarme, die ein paar Kilometer weiter wieder zusammenströmten. Mal
erweiterte sich sein Bett auf die Breite eines gesamten Tals, in dem das Wasser
ruhig, fast unmerklich strömte, um im nächsten Moment Fahrt aufzunehmen und
schäumend durch enge Felsschluchten zu schießen.
    Wir fuhren den ganzen Tag, unterbrochen nur von kurzen Pausen, in
denen wir schweigend aßen. Sobald wir das Boot am Ufer vertäuten, fielen die
Mücken über uns her. Ich hatte Glück im Unglück: Die penetrante Alkoholfahne,
die Mischa und San Sanytsch umwehte, schien Insekten anzuziehen. Mich
ignorierten sie weitgehend.
    Während der Fahrt behielt ich meine beiden Begleiter still im Auge.
San Sanytsch dämmerte immer wieder benommen weg, und wenn er eine halbe Stunde
später zu sich kam, wirkte er halbwegs ausgenüchtert. Mischa war der Alkohol
kaum anzumerken, er schien

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