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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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spurlos in seinem massigen Körper zu versickern.
Dass er trank, merkte man allein an den Schimpfwörtern. Gegen Nachmittag hatte
der Alkohol sein gesamtes Sprachvermögen auf einen Endlosstrom aggressiver
Flüche reduziert.
    Als die Sonne hinter den Bergkuppen verschwand, wurde es
überraschend schnell dunkel. Im Dämmerlicht schaltete Mischa die Scheinwerfer
ein. Sie warfen zwei trübe Leuchtbahnen in die Strömung. Mit Grauen dachte ich
an die Felsen unter der reflektierenden Wasseroberfläche.
    Ich beugte mich zu San Sanytsch. »Was ist los? Es wird dunkel.
Wollen wir nicht übernachten?«
    Ich merkte erst, wie betrunken er war, als er den Mund aufmachte.
»Weißt du«, lallte er, »Mischa kommt gerade erst richtig in Stimmung, der wird
die ganze Nacht durchfahren.«
    Es war der Punkt, an dem mir klar wurde, dass die beiden nicht mehr
wussten, was sie taten. Ich stieg über das Gepäck und legte Mischa eine Hand
auf die Schulter. »Hör zu«, schrie ich. »Fahr ans Ufer. Wir übernachten hier.«
    Mischa sah mich an, als erwache er aus einem Traum. Offenbar hatte
ich den richtigen Ton getroffen. »Alles klar«, sagte er.
    Wir vertäuten das Boot am Ufer und schleppten unser Gepäck auf eine
sumpfige Wiese. Das letzte Sonnenlicht war verschwunden, vom Mond war noch
nichts zu sehen. Die Sterne schimmerten trübe, als lägen sie hinter einem
Dunstschleier. Rings um die Lichtkegel, die unsere Taschenlampen in die Nacht
schnitten, war nichts als schwarze, lückenlose Dunkelheit. Das plötzlich
verstummte Motorengeräusch, das in meinem Kopf nachhallte, ließ die Stille der
Taiga gespenstisch klingen. Jedes Mal, wenn ich irgendwo etwas knacken hörte,
schwenkte ich nervös die Taschenlampe. Ihr Schein versiegte nach wenigen Metern
im Nichts.
    San Sanytsch kauerte sich neben mich. Er hielt eine Zeltplane in der
Hand. Sein pädagogischer Gesichtsausdruck verriet mir, was auf mich zukam.
»Zuerst«, lallte er, »muss man den Zeltboden finden. Pass auf, das ist sehr
wichtig … den Boden muss man finden … den Boden … verdammt, wo ist denn dieser
Boden?« Hektisch krempelte er das Zelt von der einen auf die andere Seite. Am
Ende ließ er sich hysterisch lachend auf die Plane fallen. »Verdammt«, prustete
er. »Ich unterrichte Grundlagen sicherer Lebensführung! Und ich kann nicht mal
ein Zelt aufbauen!«
    Ich schickte ihn weg und baute das Zelt alleine auf. Als es stand,
begriff ich, dass es ein Zwei-Mann-Zelt war.
    Mischa und San Sanytsch ließen sich auf die Plane fallen. Eine Weile
hörte ich sie fluchend um Platz kämpfen, dann drang nur noch Schnarchen durch
die Zeltwand. Ich legte meine Isomatte ein paar Meter entfernt auf den
Waldboden, kroch in meinen Schlafsack und zog den Reißverschluss so weit zu,
dass nur ein Schlitz um meine Augen frei blieb. Die Bandagen an meinen Händen
waren völlig durchnässt. Die Feuchtigkeit kroch in die Wunden, ein pochender
Schmerz hielt mich wach. Stundenlang starrte ich verzweifelt in die Dunkelheit
und fragte mich, ob je eine Nacht so lang gewesen war.
     
    Als die Sonne aufging, kam San Sanytsch aus dem Zelt
gekrochen. Er warf mir einen verlegenen Blick zu, stolperte zum Fluss und ließ
sich kaltes Wasser über den Kopf laufen. Schweigend packten wir aus, was wir
fürs Frühstück brauchten. San Sanytsch machte Feuer. Als das Teewasser kochte,
ging ich Mischa wecken. Ich musste ihn zweimal in die Seite treten, bevor er
sich rührte.
    Nach dem Frühstück lief Mischa zum Boot. Als er zurückkam, sah ich
ihm an, dass etwas nicht stimmte. Mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck
kratzte er sich am Kopf.
    »Wir haben zu viel Gepäck mitgenommen«, sagte er. »Oder die Strömung
ist wieder stärker geworden, keine Ahnung.«
    Alarmiert sah ich ihn an. »Was heißt das? Was ist los?«
    »Wir … wir haben zu viel Benzin verbraucht.«
    »Wieso? Was bedeutet das? Wieviel haben wir noch?«
    Er wich meinem Blick aus. »Genug, um zurück nach Abasa zu kommen.
Glaube ich.«
    Ich spürte, wie mir der Zorn den Atem und die Stimme raubte. Als
Mischa es merkte, ging er sofort zum Gegenangriff über. » ТВОЮМАТЬ ! Reg dich nicht auf! Das Benzin reicht
nicht, na und? Was kann ich dafür? Geht doch zu Fuß weiter, БЛЯДЬ ! Wenn ihr euch beeilt, seid ihr in einer
Woche da.«
    Ich sah San Sanytsch an. San Sanytsch sah den Wald an. In seinen
starren, rotgeäderten Augen stand blanke Panik. Mir wurde klar, dass er keine
Ahnung hatte, wo wir waren.
    Verzweifelt drehte ich den beiden den

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