Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer
Autoren: J Mühling
Vom Netzwerk:
wussten von den Juden?«
    »Die Deutschen haben kein Geheimnis daraus gemacht.«
    »Trotzdem wollten Sie an ihrer Seite kämpfen?«
    »An wessen Seite hätten wir sonst kämpfen sollen?«
    »Hatten Sie keine Angst vor den Deutschen? Hitler war nicht gerade
ein Freund der Russen.«
    »Hitler hat uns einen freien Don versprochen.«
    »Er hat viel versprochen.«
    Piwowarow zuckte mit den Schultern. »Wenn er sein Wort gebrochen
hätte, hätten wir eben weitergekämpft. Gegen die Deutschen.«
    Der Krieg der Kosaken dauerte nicht lange. Kurz nachdem sie
übergelaufen waren, begann der deutsche Rückzug. Im Januar 1943, die Schlacht
von Stalingrad war noch nicht zu Ende, gab die Wehrmacht den Don auf. Kilometer
für Kilometer drängte die Rote Armee die Deutschen aus dem Land, und mit ihnen
die übergelaufenen Kosakenregimenter. Piwowarow, der vorher nie sein Dorf
verlassen hatte, zog mit der zurückweichenden Wehrmacht quer durch die Ukraine.
Bei den Rückzugsgefechten wurde er ein paarmal leicht verwundet. Es fiel ihm
nicht schwer, zurückzufeuern, obwohl er wusste, dass auf der anderen Seite der
Front seine Landsleute standen. War es denn im Bürgerkrieg anders gewesen? Die
Front verlief nicht zwischen Deutschen und Russen – sie verlief zwischen
Piwowarow und den Bolschewiken.
    Einmal, in der Westukraine, sah er einem deutschen Offizier beim
Sterben zu. Eine Kugel hatte dem Mann die Bauchdecke zerfetzt, er saß in seinem
Blut. Bevor er starb, streifte der Offizier seine Armbanduhr ab und schenkte
sie Piwowarow. Danke, sagte Piwowarow auf Deutsch, aber das hörte der Mann
schon nicht mehr.
    In Polen zerfetzte ihm eine Fliegerbombe das Knie. Man evakuierte
ihn nach Glogau, in ein deutsches Militärspital. Mit einem steifen Bein wurde
er entlassen. Weil er an der Front nicht mehr zu gebrauchen war, schickte man
ihn nach Norditalien, in ein Auffanglager. Fast alle Kosaken verschlug es gegen
Kriegsende hierher, nicht nur Soldaten, auch geflohene Familien mit ihren Kindern.
Wer noch einsatzfähig war, wurde weitergeschickt nach Jugoslawien, um gegen
Titos Partisanen zu kämpfen. Der Rest wartete. Auf die Rückkehr an den freien
Don.
    Die Monate vergingen, der Don wurde nicht freier. Als die Niederlage
der Deutschen abzusehen war, schlugen sich die Kosaken über die Alpen nach
Österreich durch, sie wollten sich den Engländern ergeben. Die Engländer, das
wussten sie, mochten die Bolschewiken genauso wenig wie sie selbst. Wer weiß,
dachten die Kosaken – vielleicht würden sie den Don eines Tages an der Seite
der Engländer befreien.
    Als sie in der österreichischen Stadt Lienz ankamen, lotste man sie
in ein britisches Kriegsgefangenenlager. Die Kosaken machten den Engländern
Avancen. Die Engländer lächelten ihr höfliches Engländerlächeln. Sie
verschwiegen den Kosaken, dass ihr Schicksal längst besiegelt war: Bei der
Konferenz von Jalta hatten die Alliierten Stalin zugesichert, alle internierten
Sowjetbürger auszuliefern.
    Erst als die Engländer eines Tages ankündigten, die Kosaken in ein
anderes Lager zu verlegen, begriffen sie, was ihnen bevorstand. Panik brach
aus. Als am nächsten Morgen die Lastwagen vorfuhren, erhängten sich die Kosaken
reihenweise an der Lagerumzäunung. Mütter erwürgten ihre Kinder und stürzten
sich selbst in die Bajonette der Engländer. Nur mit Gewalt gelang es den Briten
schließlich, den noch lebenden Teil der rund zweitausend Gefangenen in die
Lastwagen zu pferchen und der Roten Armee zu übergeben.
    Die Offiziere richtete man hin, die Soldaten, darunter Piwowarow, wurden
für zehn Jahre ins Lager geschickt. In Viehwaggons verfrachtete man sie nach
Sibirien. Piwowarow landete in einem Kohlebergwerk, wo etwas Seltsames geschah.
Ein Vorarbeiter sah sein steifes Bein und sagte: Was willst du hier? Mit
Krüppeln können wir nichts anfangen. Scher dich nach Hause.
    Humpelnd durchquerte Piwowarow halb Russland. Unterwegs tauschte er
die Armbanduhr, die ihm der deutsche Offizier geschenkt hatte, gegen einen
Revolver. Er wusste, dass seine Freilassung ein Irrtum war, dass man bald nach
ihm suchen würde. Mit dem Revolver in der Tasche schlug er sich bis nach
Kriwjanskaja durch. Er wollte ein letztes Mal den Don sehen, mehr nicht. Er
beschloss, sich zu erschießen, sobald man versuchen würde, ihn zu verhaften.
    Ein ganzes Jahr lang lebte er unbehelligt in Kriwjanskaja. Er
arbeitete wieder als Traktorist in der Kolchose. Wenn die Leute ihn fragten, wo
er gewesen war, sagte er nur: Im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher