Mein russisches Abenteuer
wusste ich, dass ich im Land der Kosaken angekommen war.
Auf meiner Reise durch Sibirien hatte ich mich oft gefragt, was vom
Eroberungsgeist dieses Kriegervolks übrig geblieben war, dem Russland gut drei
Viertel seines Territoriums verdankt. Um es herauszufinden, war ich ins
Mündungsgebiet des Don gefahren, die historische Heimat der Kosaken. Hier waren
sie im 15. Jahrhundert aufgetaucht, als kuriose Kreuzung zwischen den
sesshaften Waldvölkern des Nordens und den nomadischen Grasvölkern des Südens:
Die Kosaken waren Russen, aber sie lebten in der Steppe, und das
Fortbewegungsmittel ihrer Wahl war das Pferd.
Meist waren es entflohene Leibeigene und Kriminelle, die sich am
Südrand des Landes zu berittenen Verbänden zusammenrotteten. Anfangs lebten sie
als Berufsgauner, als Freibeuter, deren Raubzüge die russischen Siedlungen im
Norden genauso fürchteten wie die Nomadenstämme im Süden. Letztere waren es,
die den Steppen-Desperados den turksprachigen Namen »Qazaq« verliehen: freie
Krieger.
Eine Pufferzone entstand. Der umkämpfte Grenzbereich zwischen Wald
und Steppe wurde zum Herrschaftsbereich der Kosaken. Sie waren nicht die
angenehmsten Nachbarn, aber aus russischer Sicht sprach für sie, dass sie dem
Zarenreich die Attacken der südlichen Nomadenstämme vom Leib hielten. Bald begann
der Kreml, um die Gunst der Kosaken zu werben. Man sah großzügig über ihre
kriminelle Vergangenheit hinweg, um sie im Gegenzug als Wächter der russischen
Südgrenze zu verpflichten.
Die Eroberung Sibiriens – begonnen als privater Raubzug, bevor man
den Steppenkriegern auf halber Strecke ein staatliches Mandat verlieh – machte
die Kosaken endgültig zu Hilfstruppen des Zaren. Ihre Verbände wurden offiziell
in die imperiale Armee integriert, in ihren exotischen Uniformen sah man sie
bald durch Sankt Petersburg reiten. Als Palastwachen hüteten sie
Herrscherresidenzen, als berittene Elitetruppe schlugen sie im Auftrag des
Zaren Volksaufstände nieder. Aus den Gesetzlosen von einst wurden
Gesetzeshüter.
Ihre nie ganz verlässliche, aber stets laut beschworene Zarentreue
war es, die ihnen nach der Revolution das Genick brach. Obwohl sie im
Bürgerkrieg auf beiden Seiten der Barrikaden kämpften, trauten die Bolschewiken
weder den weißen noch den roten Kosaken über den Weg. Eine Welle des Terrors
rollte in den Zwanziger- und Dreißigerjahren über ihre Siedlungsgebiete hinweg
– wer nicht in Stalins Lagern umkam, verhungerte im eigenen Haus, als das
Ackerland der Steppe gewaltsam verstaatlicht wurde. Man vernichtete die
Kosaken, indem man ihnen die Lebensgrundlage entzog: ihre Höfe, ihre Weiden,
ihr Vieh.
Zuletzt verschwanden ihre Pferde aus der Steppe. Die Bolschewiken
bevorzugten ein anderes Transportmittel: den Traktor, das Arbeitstier des
Sozialismus, das Pferd der Zukunft. Ein gigantisches Traktorenwerk wurde in der
alten Don-Metropole Rostow aus dem Boden gestampft, die verbliebenen Kosaken
schulte man zu Traktoreningenieuren und Traktoristen um. Sogar das neue
Theater, das die Bolschewiken in Rostow bauten, bekam die Form eines Traktors
verpasst – mit Fassaden und Fensterfronten, die wie Raupenantriebe und
Lüftungsgitter aussehen. Siebzig Jahre lang war die Bühne des Traktorentheaters
einer der wenigen Orte, wo die Kosaken noch Kosaken sein durften, wenn auch nur
fröhliche Folklorekosaken – uniformiert, aber unbewaffnet.
Ihre Säbel und Peitschen legten sie erst nach dem sowjetischen
Untergang wieder an. In Rostow und den umliegenden Städten am Don sprach ich
mit ein paar Vertretern der wiedergeborenen Kosakenbewegung, deren Uniformen so
fantastisch waren wie die Titel auf ihren Visitenkarten. Manche waren
herzliche, grundsympathische Aufschneider. Andere erzählten mit tief bewegter
Stimme, wie tapfer die Kosaken einst für das Vaterland gekämpft hatten und wie
sehr sie das Vaterland noch immer liebten, und was sie alles tun würden, um das
Vaterland zu verteidigen, und …
»Was würdet ihr denn tun?«, hakte ich nach.
»Die Tschetschenen rausschmeißen! Und die Tadschiken! Und die
Türken! Und die Chinesen! Und zuallererst die Juden!«
Als ich mich gerade damit abfinden wollte, dass von den Kosaken
nichts übrig geblieben war als kitschige Souvenirs und pompöse Schnauzbärte und
aufgewärmte Ressentiments, traf ich Wasilij Piwowarow.
Ich nahm ihn erst kaum wahr. Einer der Visitenkarten-Kavalleristen
aus Rostow hatte mich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Wir saßen in einem
Garten
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