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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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wurde
sechzig. Mein Geschenk gefiel ihm. »Tomaten aus Kriwjanskaja! Die besten im
ganzen Don-Gebiet!«
    Bis in die frühen Morgenstunden tranken wir selbst gebrannten Wodka,
den Großvater Viktor im Keller seines Hauses herstellte. »Naturprodukt«,
versicherte er mir. »Ohne chemische Zusätze. Davon bekommst du garantiert
keinen Kater.«
    Trotzdem war ich nicht ganz bei mir, als ich am nächsten Morgen
aufwachte. Das halbe Haus schlief noch, nur Großvater Viktors Enkelkinder saßen
in Badehosen am Küchentisch, Nastja und Wanja, beide im Grundschulalter. »Onkel
Jens!«, riefen sie. »Kommst du mit an den See?«
    Das Wasser war trübe, aber es vertrieb den Kater. Nastja und Wanja
hatten sich mit einem Jungen aus der Nachbarschaft verabredet. Der Junge war
ein bisschen jünger als die beiden, er durfte noch nicht alleine an den See,
sein Großvater war zum Aufpassen mitgekommen. Während wir schwammen, saß der
Großvater still am Ufer. Ab und zu nippte er an einer Flasche.
    Als wir gegen Mittag die Handtücher einpackten und zurück in die
Siedlung liefen, war der alte Mann so betrunken, dass ihn seine Beine nicht
mehr trugen. Ich legte mir seinen linken Arm um die Schulter und schleppte ihn
nach Hause. Seine Frau öffnete die Wohnungstür und deutete seufzend auf den
Fußboden: »Dahin.« Vorsichtig setzte ich den Großvater ab. Er schlief sofort
ein.
     
    Oleg und Katja, die Eltern von Nastja und Wanja, waren in
meinem Alter. Sie verdienten ihr Geld als Ikonenhändler. Alle paar Wochen
belieferten sie die orthodoxen Gemeinden der Umgebung mit den kleinen, billigen
Heiligenbildern, die ich aus den russischen Kirchenkiosken kannte. Nachmittags
half ich den beiden, ihren Kleintransporter zu beladen. Kistenweise füllten wir
die Ladefläche mit Erlösern und Gottesmüttern. Am nächsten Morgen brachen Oleg
und Katja zu einer zweiwöchigen Verkaufstour Richtung Süden auf, die
Schwarzmeerküste entlang bis nach Sotschi. Sie nahmen mich mit.
    Die Fahrt verschwimmt in meiner Erinnerung zu einer langen,
staubigen Straße, an deren Rändern in unregelmäßigen Abständen Lenin-Denkmäler
und Kirchen auftauchten. An den Lenin-Denkmälern fuhren wir vorbei, an den
Kirchen machten wir Halt. Meist führte Oleg die Verkaufsgespräche mit den
Priestern.
    »Hier, Väterchen, neu im Sortiment: selbstklebende Gottesmütter fürs
Armaturenbrett, acht Rubel das Stück. Ist das ein Thema für Sie?«
    »Gib mir fünf Stück.«
    »Nehmen Sie zehn, Väterchen, zehn zum Preis von neun, in Ordnung?«
    »Fünf reichen. Gib mir lieber Panteleimon-Ikonen. Sag nicht, du bist
wieder ohne Panteleimon hier aufgetaucht.«
    »Lieferschwierigkeiten, Väterchen. Nehmen Sie den heiligen Nikolaj,
der verkauft sich immer.«
    »Aber dreh mir nicht wieder diesen ukrainischen Plastikkram an,
hörst du?«
    » Made
in Russia , Väterchen, alles made in Russia .«
    Oleg war ein Mann mit zwei Gesichtern. Im Gespräch mit den Priestern
war er liebenswürdig, schmeichlerisch, fast unterwürfig. Sobald die Autotür ins
Schloss gefallen war, wechselte seine Honigstimme abrupt die Tonlage.
»Hundesohn! Um jeden Rubel muss er feilschen. Hast du sein Auto gesehen? Dafür
hat er Geld! Woher wohl? Meinst du, dafür reicht ein Priestergehalt? Er
plündert seine Gemeinde aus, der Hundesohn.«
    Oleg hasste Russland. Er hasste Russlands Straßen, Russlands
Tankstellen und Russlands Verkehrspolizisten, er hasste russische Autos und den
russischen Fahrstil ihrer russischen Besitzer. Er schimpfte über die Hotels, in
denen wir übernachteten, er misstraute den Kantinen, in denen wir unterwegs
aßen. Am allermeisten aber hasste Oleg die russische Kirche. »Es ist eine
einzige Mafia! Die Priester bereichern sich an ihren Gemeinden, die Bischöfe an
den Priestern, die Metropoliten an den Bischöfen, der Patriarch an den
Metropoliten.«
    Vor langer Zeit hatte Oleg selbst mit dem Gedanken gespielt,
Kleriker zu werden, er hatte an einem Priesterseminar in Sankt Petersburg
studiert. Es waren die Neunzigerjahre, und wie überall in der russischen
Gesellschaft wurde auch in der wiedergeborenen Kirche um die einzuschlagende
Richtung gekämpft. Frustriert von innerkirchlichen Intrigen hatte Oleg das
Studium nach ein paar Semestern abgebrochen. Was ihn an der Kirche störte,
störte ihn bald an ganz Russland – überall witterte er Hierarchiegläubigkeit,
Korruption, innere Unfreiheit.
    Inzwischen war Olegs Hass fast zwanghaft. In allem Schlechten, was
er sah, sah er seine Heimat, er

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