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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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vom Sehen, aus der Schule, er war in meinem
Jahrgang. Komischer Typ. Wollte unbedingt nach Tschetschenien. Mich wollten sie
auch hinschicken, aber ich hatte keine Lust, im Sarg zurückzukommen. Meine
Mutter hat die Offiziere bestochen. Ein paar tausend Rubel, und ich konnte
meinen Dienst in Moskau absitzen. Alle haben das so gemacht. Schenja hätte es
auch machen können.« Sascha schüttelte verständnislos den Kopf. »Hat er aber
nicht.«
    Er setzte mich vor einem Datschenviertel ab und zeichnete mir eine
Wegbeschreibung in den Notizblock. »Such nach einem hohen Metallzaun. Dahinter
lebt Schenjas Mutter.«
    Der Metallzaun war einen Kopf höher als ich. Ich sah nichts, aber
ich hörte das leise Singen einer Frauenstimme. Als ich ans Tor klopfte, brach
der Gesang abrupt ab.
    »Wer ist da?«
    Ich erklärte mich. Das Tor öffnete sich einen Spalt. Eine kleine
Frau mit kurzgeschnittenen Haaren sah mich prüfend an. »Wie alt sind Sie?«
    »Vierunddreißig.«
    Ljubow Rodionowa lächelte. »So alt wäre Schenja jetzt auch.«
    Das Tor fiel hinter uns ins Schloss und blendete die Welt aus, nur
der blaue Aprilhimmel hing über dem Zaun.
    Im dunklen Wohnzimmer der Datscha goss Schenjas Mutter Kräutertee
auf. Sie entschuldigte sich für die Unordnung. Ich sah keine Unordnung. Sie
entschuldigte sich noch einmal. »Wenn man ganz alleine ist, weiß man nicht
mehr, für wen man Ordnung halten soll.«
    Sie musste die Geschichte oft erzählt haben. Als sie begann,
wechselte ihre Stimme hörbar den Ton, sie wurde weicher, melodiöser, als sänge
sie ein Lied, das ihr Note für Note vertraut war. »Alles begann mit einem
Telegramm aus Tschetschenien …«
    Das Telegramm erreichte Ljubow Rodionowa im Februar 1996. Ihr Sohn,
schrieb ein Offizier der Grenzschutztruppen, sei desertiert, man suche nach
ihm. Sollte der Rekrut Jewgenij Rodionow zu Hause auftauchen, sei er
unverzüglich der örtlichen Militärverwaltung zu überstellen.
    Am nächsten Tag packte Ljubow Rodionowa kalte Salzkartoffeln und
hartgekochte Eier ein und setzte sich in einen Zug, vor dessen Fenstern zwei
Tage später die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus auftauchten. Sie wusste,
dass ihr Sohn nicht desertiert sein konnte, es passte nicht zu ihm. Etwas
musste ihm zugestoßen sein.
    Als sie den tschetschenischen Grenzposten erreichte, erklärte ihr
ein zerknirschter Offizier die Lage. Ihr Sohn, sagte er, sei während einer
nächtlichen Wachschicht spurlos verschwunden, zusammen mit drei anderen
Rekruten. Erst sei man von Fahnenflucht ausgegangen, inzwischen aber wisse man,
dass die Soldaten entführt worden seien. Leider fehle jede Spur von ihnen.
    Einen ganzen Frühling und einen ganzen Sommer und einen ganzen
Herbst und einen halben Winter lang suchte Ljubow nach ihrem Sohn. Der erste
Tschetschenienkrieg näherte sich seinem Ende, während eine kleine, einsame Frau
kreuz und quer durch die verwüstete Kriegsregion reiste. Die Nächte verbrachte
sie in den Schlafsälen russischer Armeelager, in den Flüchtlingszelten
internationaler Hilfsorganisationen, in den halb zerstörten Häusern
tschetschenischer Familien. Tagsüber fragte sie jeden, der ihr begegnete, nach
ihrem Sohn.
    Vermittler brachten sie mit tschetschenischen Untergrundkämpfern in
Kontakt. Mit verbundenen Augen ließ sich Ljubow in abgelegene Bergverstecke
führen, in der Hoffnung, irgendeine Spur zu entdecken. Einmal geriet sie selbst
in tschetschenische Gefangenschaft, aber nach drei Tagen ließen die Rebellen
sie frei, weil sie begriffen, dass niemand Lösegeld für sie zahlen würde.
    Lange suchte Ljubow nach einem lebenden Sohn. Nach und nach aber
wurde ihr klar, dass Gefangene den Rebellen nur als Ware nützten, die sich
eintauschen ließ gegen Lösegeld oder eigene Gefangene. Schenja aber war seit Monaten
verschwunden, und auf dem Markt der Geiseln war sein Name nie ins Spiel
gebracht worden. Dass er tot war, traf Ljubow kaum noch, als sie endlich den
Mann fand, der ihren Sohn ermordet hatte. Es traf sie nur, wie er gestorben
war.
    Dein Sohn hat dich nicht geliebt, sagte der Rebell. Dein Sohn hätte
leben können, aber er hat sich für den Tod entschieden. Wir haben ihm gesagt:
Nimm das Kreuz ab, das du um den Hals trägst, sag dich von deinem Glauben los,
kämpfe auf unserer Seite. Er wollte das Kreuz nicht abnehmen. Wir mussten ihm
den Kopf abschneiden. Hätte er dich geliebt, hätte er sein Kreuz abgenommen.
Einen schlechten Sohn hast du in die Welt gesetzt, Ljubow Rodionowa.
    Am Ende

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