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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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Orten der
Zwangsverwahrung, mit oder ohne Invalidenstatus (kostenlos)
    −  Personen,
die für ihren Dienst im Hinterland im Zeitraum 22. Juni 1941 bis 9. Mai 1945
mit Orden oder Medaillen der UdSSR für selbstaufopfernde Arbeit ausgezeichnet
wurden (50 % Ermäßigung)
    −  Personen,
denen die Auszeichnung »Bewohner des belagerten Leningrads« verliehen wurde
(kostenlos)
    −  Personen,
die in Folge der Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl Strahlungseinwirkung
ausgesetzt waren (kostenlos)
    −  Rehabilitierte
Opfer politischer Repressionen (100 % Ermäßigung)
     
    Lange dachte ich über das Rätsel nach, das die erste
Kategorie mit der letzten zu verbinden schien: Sowjetische Helden fahren
kostenlos Elektritschka, sowjetische Opfer mit hundertprozentigem
Preisnachlass. Ich wurde nicht schlau aus diesem Unterschied, der keiner ist.
     
    Am nächsten Tag fuhr ich wieder mit der Elektritschka
stadtauswärts, diesmal in nördlicher Richtung. Wieder suchte ich einen
Ikonenmaler, diesmal einen lebendigen. Vater Kirill hatte mir die Adresse des
Mannes gegeben, der die Märtyrer-Ikonen von Butowo gemalt hatte.
    Igor Droschdin lebte in einem kleinen Dorf namens Brjochowo, dessen
Holzhäuser sich knapp hinter der Stadtgrenze an die Ränder einer Moskauer
Ausfallstraße klammern. Als ich den Hof seines Hauses betrat, stürzten zwei
kalbsgroße Hunde auf mich zu. Kurz bevor sie mich fraßen, endete das Spiel
ihrer Kette, würgend riss es sie aus dem Lauf. Hinter ihnen öffnete ein Mann
die Haustür, dem der blonde Bart bis zur Brust reichte. Er wickelte sich die
Kette um die Faust und zerrte die röchelnden Hunde Meter für Meter zurück.
»Jetzt!«, schrie er. Ich stürzte zur Eingangstür.
    Er war kein zugänglicher Mensch. An unser Gespräch erinnere ich mich
wie an einen unzusammenhängenden Traum, in dem man verloren durch Flure irrt,
die nirgendwohin führen. Abgerissenen Sätzen folgten Minuten des Schweigens, in
denen Igors wasserblaue Augen den Kontakt zu mir verloren und sich glasig nach
innen kehrten. Er musste Mitte vierzig sein, aber nicht einmal da war ich mir
sicher – mit einsilbiger Sturheit entzog er sich allen Fragen, die seine Person
betrafen. »Das ist nicht wichtig«, wiederholte er. »Das spielt keine Rolle.«
    Wichtig waren allein die Ikonen, die sein Haus und die angrenzende
Werkstatt vom Keller bis zum Dach füllten. Nur über sie sprach Igor
ausführlich, wenn auch kaum weniger verrätselt als über sich selbst. Überall
sah ich die Bestandteile seines Handwerks, die Lindenholztafeln, die
Blattgoldbögen, die Mörser mit den gemahlenen Farbpigmenten, aber wie sich all
das zu Ikonen fügte, konnte ich nur vermuten. »Nicht wichtig«, wehrte Igor alle
technischen Fragen ab. »Ikonen werden nicht mit Farben gemalt.« Lächelnd bohrte
er mir seinen Zeigefinger in die Brust. »Mit Blut werden sie gemalt. Mit Blut
und mit Tränen. Beten muss ein Maler, dann weist Gott ihm den Weg.«
    Den Großauftrag für die Kirche in Butowo hatte Igor bekommen, weil
er Erfahrung mit ungewöhnlichen Ikonen hatte. »Die meisten Maler kopieren nur
alte Motive«, sagte er. »Für die Märtyrer von Butowo gab es keine Vorlagen, das
hat viele abgeschreckt.« Nicht so Igor, den gerade die Grenzbereiche des
orthodoxen Kanons anzogen, aus Gründen, die ich anfangs nicht durchschaute. Zu
seinen Lieblingsmotiven gehörte Alexander Suworow, Russlands Heeresführer in
den Kriegen des 18. Jahrhunderts. Ich kannte das Gesicht des Generals von
historischen Porträts, aber nie hatte ich es auf Ikonen gesehen.
    »Suworow wurde heiliggesprochen?«, fragte ich.
    »Nein.« Bedauernd schüttelte Igor den Kopf. »Noch nicht. Die Kirche
ist noch nicht so weit.«
    Es dauerte eine Weile, bis mir auffiel, dass sich militärische
Motive wie ein roter Faden durch Igors Ikonen zogen. Boris und Gleb, die
brüderlichen Märtyrer, hielten Schwerter in den Händen, Alexander Newskij, der
mittelalterliche Feldherr, ballte die Faust um seine Lanze. Russische Heere
zogen mit heiligen Gottesmutter-Ikonen in den Kampf, vor denen die Pfeile
tatarischer Bogenschützen kraftlos zu Boden sanken. »Sie sind mächtige Waffen,
unsere Ikonen«, flüsterte Igor. Er drückte mir ein zerlesenes Kinderbuch in die
Hand. Irritiert blätterte ich es durch – naive Illustrationen erzählten von
Ikonen, mit denen Russland seine historischen Feinde in die Knie gezwungen
hatte. Mongolische Pferde, türkische Galeeren, Napoleons Kanonen, Hitlers
Panzer – alle

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