Mein russisches Abenteuer
bleibt. Fest steht, dass Grigorij auf seinen Wanderungen zum
Prediger wurde, denn als Prediger taucht er zwanzig Jahre später im Tagebuch
des Zaren auf. »Lernte einen Gottesmann kennen«, vermerkt Nikolaj II. im
November 1905. »Grigorij, aus dem Gouvernement Tobolsk.«
Eine rätselhafte Zuneigung band Russlands Herrscher an den
Wanderprediger aus der Provinz, obwohl Grigorij Jefimowitsch Rasputin auf den
ersten Blick nicht das war, was man einen einnehmenden Menschen nennen konnte.
Das fettige Haar hing ihm strähnig ins Gesicht, in seinem Bart klebten oft
Essensreste. Er trug schlichte, zerschlissene Priesterhemden, die er selten
wusch, man verglich seinen Körpergeruch mit dem einer Ziege. Beim Sprechen gab
er sich keine Mühe, seine bäuerliche Herkunft zu verhehlen, er war ungehobelt,
schroff, oft beleidigend.
Trotzdem hing bald der halbe Zarenhof an seinen Lippen. Rasputin
mochte ungebildet sein und dreckig, aber wer ihm begegnete, dem blieb er in
Erinnerung. Mehr als alles andere waren es seine Augen, denen er sein Charisma
verdankte: steingraue, hypnotische Augen, mit pulsierenden Pupillen, von denen
es hieß, Rasputin könne sie nach Belieben erweitern und verengen.
Man schrieb ihm mystische Heilkräfte zu. Jedes Mal, wenn der kranke
Thronfolger vor Schmerzen schrie, weil innere Blutungen seinen Leib zerrissen,
jedes Mal, wenn die Ärzte Alexej schon aufgegeben hatten, betete Rasputin ihn
zurück ins Leben. Seine göttliche Gabe verlieh ihm irdische Macht. Die Zarin
protegierte Rasputin, weil er das Leid ihres Sohnes linderte, der Zar
protegierte ihn, weil er die Zarin beruhigte. »Besser ein Rasputin als zehn
hysterische Anfälle am Tag«, pflegte Nikolaj zu antworten, wenn seine Berater
den Einfluss kritisierten, den der Prediger zunehmend am Hof ausübte. Dass sich
inzwischen ganz Petersburg das Maul über den zwielichtigen Gottesmann zerriss,
ignorierte Nikolaj mit der gleichen charakteristischen Sturheit, mit der er
seit Jahren die revolutionäre Stimmung leugnete, die sich in Russland
zusammenbraute. Beides sollte ihn am Ende den Thron kosten. Und den Kopf.
Nachts sah man den Mann, der tagsüber am Hof predigte, in
Petersburgs schmierigsten Bordellen sündigen. Rasputins Schamlosigkeit kenne
keine Grenzen, hieß es bald. Man sagte ihm Verhältnisse zu verheirateten
Hofdamen nach, selbst mit der Zarin sollte er das Bett geteilt haben. Dass
Nikolaj den Nebenbuhler nicht davonjagte, konnte nur bedeuten, dass der Zar
nicht mehr Herr seiner Sinne war – ein Scharlatan hatte ihn unzurechnungsfähig
gemacht. Selbst Nikolajs Führungsschwäche im Ersten Weltkrieg schob man auf
Rasputin: Man hielt ihn für einen Saboteur, entsandt von Kaiser Wilhelm,
Nikolajs deutschem Cousin und Kriegsgegner.
Rasputin dementierte die Gerüchte nicht, im Gegenteil, er schmückte
sie aus. Eines Nachts wurde er verhaftet, nachdem er in einem Restaurant von
Liebesnächten mit der Zarin geprahlt hatte. Betrunken war er auf einen Tisch
geklettert und hatte vor aller Augen sein Geschlecht entblößt, wie zum Beweis
seiner Machtfülle. Als die Nachricht von seiner Verhaftung die Runde machte,
atmeten Nikolajs Berater auf – nun endlich, hofften sie, würde der Zar zur
Besinnung kommen. Schon am nächsten Morgen aber war Rasputin wieder frei,
entlassen auf Nikolajs persönliches Drängen.
Eine Gruppe junger Aristokraten beschloss schließlich, dem Spuk ein
Ende zu machen. Unter einem Vorwand lockten sie Rasputin in den Keller einer
Petersburger Villa, die zum Schauplatz des wohl stümperhaftesten Mordes der
russischen Geschichte wurde. Man setzte Rasputin ein Assortiment vergifteter
Speisen vor. Unbeeindruckt spülte der Prediger ein paar tödliche Tortenstücke
mit ein paar tödlichen Tassen Tee herunter, ohne mit der Wimper zu zucken.
Einer der Verschwörer verlor schließlich die Geduld und schoss ihm in den
Rücken. Rasputin brach zusammen, aber während man noch beriet, wie seine Leiche
zu entsorgen sei, floh der vermeintlich Tote durch eine Nebentür in den Hof.
Als seine Mörder ihn einholten, scherten sie sich nicht mehr um Stilfragen –
sie schlugen, traten und würgten ihr Opfer so lange, bis es sich nicht mehr
rührte. Zur Sicherheit hackten sie ein Loch in die zugefrorene Newa und warfen
den Toten hinein. Als der aufgeschwemmte Leichnam ein paar Tage später entdeckt
wurde, war er kaum noch zu erkennen. Die untröstliche Zarin ließ Rasputins
Überreste im Garten ihrer Sommerresidenz beisetzen.
Seine Mörder
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