Mein Sanfter Zwilling
an, die sie auch von der Kellnerin hatte bringen lassen. Außerdem bin ich befördert worden und bin jetzt reich.
Sie lachte, und ihre weißen Zähne strahlten in einem erstaunlichen Weiß, das ihre dunkle Haut noch stärker hervorhob. Für den Sekt jedenfalls langt es, fügte sie augenzwinkernd hinzu.
Immer noch verspürte ich den Drang, sie zu berühren. Ihr Haar zu betasten, ihre lange Nase, ihre Wangen zu befühlen. Ich senkte den Blick, es war mir unangenehm, sie so anzustarren. Ich trank den kalten Sekt und dachte an nichts mehr. Sie erzählte von ihrer Arbeit und ihrem anstrengenden Chef, den Amerikanern, denen die Firma gehörte. Sie fragte mich nach Ivo, nach mir, nach meinem Tagesablauf, nach meiner Stimmung, und irgendwann fragte ich mich, ob ihre Heiterkeit wirklich davon kam, dass sie befördert worden war, oder ob es etwas anderes war. Ihre Fragen wurden irgendwann aufdringlicher, intimer. Ich versuchte auszuweichen.
– Was ist mit dir los?, entfuhr es mir irgendwann, so laut, dass ein holländisches Paar am Nebentisch sich zu uns umdrehte.
Sie fixierte mich prüfend mit ihrem Blick, als wolle sie sichergehen, dass ich auch ja standhalten würde. Und auf einmal, aus heiterem Himmel, zogen sich ihre Mundwinkel nach unten, sie legte sich die Hände vors Gesicht und seufzte tief und gequält. Eine Zeit lang war ich mir nicht sicher, ob sie weinte. Dann sah sie mich an, und ihre Heiterkeit, ihr Lächeln, ihre Euphorie waren schlagartig aus ihrem Gesicht gewichen, hatten stattdessen Verzweiflung und Angst Platz gemacht.
– Ich kann das nicht, murmelte sie. Immer wenn du mich so ansiehst, dann muss ich daran denken, dass … An diese Nacht am Meer. Und heute, da wollte ich nur feiern, die Arbeit ist so hart, und es gibt keine Belohnung dafür, nicht wirklich, und da dachte ich, mit dir könnte ich einen Moment genießen, ganz ohne Grund. Aber wenn du mich so ansiehst, dann merke ich, dass es nicht viel zu feiern gibt in meinem verdammten Leben, dass ich, statt hier Sekt zu trinken, einfach nur heulen sollte über den ganzen Mist.
– Aber was ist denn passiert, Salome? Ich beugte mich zu ihr über den Tisch und sah ihr in die Augen, die tatsächlich feucht geworden waren.
– Es ist doch alles einfach nur eine traurige Lüge. Ich versuche es, ich tu doch mein Bestes, und jetzt habe ich Scheiße gebaut.
– Sag’s mir. Bitte.
– Ich weiß nicht. Es ist alles auf einmal. Sie suchte nach Worten, sprach langsam, bedacht. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Ich bin so leer, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich vermisse meinen Sohn, der nicht mehr mit mir spricht, ich bin eine miserable Mutter, und Buba, der mein Sohn hätte sein sollen, will mich nicht, als wolle er mich für den Tod seiner Schwester strafen. Und für den seiner Mutter und dafür, dass ich mir das Recht genommen habe, seinen Vater zu lieben. Was wäre gewesen, wenn ich früh genug aus den Leben der Kanchelis verschwunden wäre, wenn ich mich um mein eigenes Leben gekümmert hätte, statt bei ihnen zu bleiben, statt ihr Kind großzuziehen, wenn ich einfach weggegangen wäre, vielleicht wären sie noch zusammen, vielleicht wären sie noch eine Familie und Nana würde leben, Maja würde leben. Ich krieg es nicht aus dem Kopf. Lado wird immer an Nana denken und mich brauchen, um diese kranke Verbindung zu seiner toten Frau aufrechtzuerhalten.
In Berlin, mitten in einem Streit, ist mir das alles herausgerutscht. Über Alexej, über Nana, über diese Jahre in Suchumi, ich habe ihm Vorwürfe gemacht, dabei … Wir haben kein einziges Mal mehr darüber gesprochen, bis … bis Ivo kam.
Ich zündete mir eine von ihren Pall Mall an und sah auf meine Fingernägel, ein wenig länger als sonst, weniger zerkaut, ein wenig spitz. Ich wusste, was sie sagen würde, würde ich nicht mehr vergessen können, und ich wappnete mich, bat meine Finger um eine Lösung.
– Wir haben uns hier eingerichtet. Lado hat dieses Häuschen gemietet. Er hat gearbeitet und seine tote Nana schien zumindest für eine Weile nicht mehr sein Leben zu bestimmen. Ich spürte, dass er mich brauchte, dass er sogar bereit war, mir ein wenig von seiner eingeschnürten Liebe abzugeben, weißt du. Ich war zufrieden, mehr konnte ich nicht erwarten, und an Geduld hat es mir nie gemangelt. Ich dachte, es muss nur so weitergehen, dann werden wir eines Tages eine Familie, eine richtige Familie, die Familie, die ich im Leben verdiente, die er
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