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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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Joint ziehend, und sahen zu den Sternen hinauf; meist sang Salome dann, während Lado sie auf seiner Gitarre begleitete. Ich nahm dann Ivos Hand und führte sie an meine Lippen. Er ließ es geschehen, doch erwiderte er meine Wärme nicht. Dann legten wir uns in unsere klapprigen Betten, und ich lag lange wach und lauschte Ivos Atem. Er berührte mich nicht. Er ignorierte mich, er tauschte mit mir nur das Nötigste aus – er war fern, fern von mir, von diesem Ort, auf der Suche nach irgendetwas, was ich nicht erkennen konnte. Ich dachte immer wieder über das Foto nach. Das Foto von dem Haus in Hafennähe.
    Nur einmal kroch ich zu ihm in das enge Bett und presste mich an ihn. Ich fand nicht genug Platz an seiner Seite, wir hatten unsere Betten auch nicht zusammengestellt. So legte ich mich halb auf ihn. Er regte sich nicht, ich wusste, dass er wach war. Er atmete schwer. Ich begann seine Beine zu massieren, seine Waden zu streicheln, ich drückte meine Brüste an seine Brust, berührte seinen Bauch. Er regte sich immer noch nicht. Wie ich das an ihm hasste, diese Kälte, diese kontrollierte Ferne, diese Starre, die er so bravourös beherrschte in den Zeiten, in denen er sich mir entzog.
    – Bist du sauer auf mich?, flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine Nasenspitze, die heiß und rau war.
    – Ich bin nicht sauer auf dich.
    – Sondern?
    – Du vertraust mir nicht mehr. Du kramst in Sachen, die dich nichts angehen.
    Ich setzte mich auf und rutschte von seinem Körper weg. Wie hatte er entdeckt, dass ich an seinem Computer war, dass ich »S« gefunden hatte?
    – Du kannst mir wenigstens sagen, wohin deine Reise geht.
    – Das Wesen einer echten Reise besteht darin, Stella, dass man nicht weiß, wo man landet. Deswegen sind wir hier.
    – Ivo, was ist nur mit dir los?
    Er setzte sich auf und sah mir direkt ins Gesicht. Das Mondlicht verwandelte das kleine Zimmer in eine Höhle in einem Berg, sakral und anmutig. Ich konnte seine Augen sehen, müde, eingesunken, in der eigenen Farbe ertränkt. Ich berührte seine Wange, und er legte sein Gesicht in meine Hand, auf einmal nachgiebig, mir nicht mehr widersprechend, und schloss die Lider. Er war wieder da, er hielt sich an mir fest, und ich dachte, dass das Leben wohl aus solchen Augenblicken besteht, dass sie es sind, worauf es ankommt, und dass der Rest nur Wartezeit ist. Die kleinen Momente der Nähe. Des Vergessens oder Erinnerns, vielleicht ist es das Gleiche?
    – Früher ging es uns nicht um Wettkämpfe, sagte er auf einmal und küsste meine Schultern. Also ging es doch darum, also hatte ich ihn verletzt, indem ich meine eigene Strecke zurücklegte. Vielleicht war es das. Ich hätte früher nie gewagt, ihn zurückzulassen, vielleicht war Ivo nie stark gewesen, vielleicht war er nur stark, wenn ich schwach war.
    – Es war doch nur Spaß.
    – Nein, war es nicht. Das weißt du.
    Wir fuhren nach Batumi, die größte Hafenstadt an der Küste, und gingen tanzen. Wir saßen in einem Bungalow am Strand und tranken Cocktails und feierten – als wäre das Land ein einziges Dorf voller Nachbarn und die fast fünf Millionen Menschen Kindergarten- oder Schulfreunde. Lado entdeckte wie so oft irgendwelche Bekannte, die uns unbedingt zum Essen und Trinken einladen wollten, da wir Freunde waren. Ich hatte mich in den letzten Wochen daran gewöhnen müssen, dauernd von Menschen eingeladen zu werden, die viel weniger hatten als ich, und hatte aufgehört, mich dagegen zu wehren. Ich fügte mich, ließ mich treiben. All die Liter Wein, die Hunderte von Gerichten und die Geschenke musste man annehmen, auch wenn man sich vor lauter Essen und Trinken kaum mehr bewegen konnte, und Freude und Entgegenkommen zeigen, was angesichts der Fülle des Dargebotenen nicht immer einfach war.
    Ich wusste, dass Lado sich mit wenigen Musikaufträgen so gerade über Wasser hielt und dass er ab und zu sogar Aufträge aus dem Ausland bekam, die ihn dann für ein paar Monate absicherten. Ich wusste, dass Salome in einer Versicherungsfirma arbeitete, aber alles, was sie verdiente, mit Lado und Buba teilte, ich wusste, dass die Menschen um ihr Überleben kämpfen mussten, dass sie für den Tag lebten, dass Worte wie Planung oder gar Sicherheit ihnen fremd waren, aber nirgends habe ich so viele arme Reiche erlebt wie in diesem Land.
    – Tulja würde es hier lieben, meinst du nicht?, fragte ich Ivo, als wir nach einem gemeinsamen Tanz zu unserem Tisch zurückgekehrt waren. Er wischte sich den

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