Mein Sanfter Zwilling
parat hatten und mit immer neuer Kinderkleidung oder Kinderspielsachen oder gesunder Kindernahrung aufwarteten und damit prahlten.
Ich spürte genau, wie langsam ununterdrückbare Gereiztheit in ihm hochstieg, er begann seine Finger zu massieren, um die Fassung zu wahren. Er tat mir unheimlich leid, es tat mir leid, dass ich ihn und seine Hilfsangebote nicht annehmen konnte, dass ich ihn so alleinließ in seiner Sorge um mich.
Ich setzte mich auf seinen Schoß und fing an, ihn wild zu küssen, sein Gesicht mit den paar Bartstoppeln und den vollen Lippen, mit den hellblauen offenen Augen, die noch keine Niederlage kannten und immer nur das Positive im Leben widerspiegelten, die kleine, nach oben zeigende Nase, die Theo so unverfälscht von ihm geerbt hatte.
Irritiert umfing er meine Taille und drückte mich fest an sich. Er zog meinen Pullover hoch, ich roch die Reste des Badeschaums an ihm, ich roch unseren Sohn an ihm, ich versuchte, meine Trauer in Leidenschaft zu verwandeln. Ich klammerte mich an ihn.
Und während ich an seinen Haaren zog und er meine Hose aufknöpfte und überlegte, mich ins Schlafzimmer zu bringen, denn Theo schlief nebenan, erinnerte ich mich daran, wie er es in den letzten Jahren geschafft hatte, mich an seine sanfte und behutsame Liebe heranzuführen, an seine schmerzlose Liebe, wie er mich meiner entwöhnt hatte, meiner vernarbten, quälenden, gequälten, zusammengeflickten Liebe, und in diesem Moment hasste ich ihn dafür. Ich hasste ihn für seinen verschonenden Sex, für seine klaren Lebensprinzipien, für seine warmen Hände, seine verständnisvolle Art, seinen ausgeprägten Verantwortungssinn, seine Schuldlosigkeit. Und ich hasste mich noch mehr, weil ich mich gleichzeitig nach dem Schmerz sehnte, nach der Möglichkeit, meine Schuld erneut bestätigt zu bekommen, mich weiterhin verletzen zu dürfen.
– Warte, Stella, nicht, murmelte er und warf einen Blick auf die leicht geöffnete Tür zu Theos Zimmer.
– Bleib, stöhnte ich auf und zog seine Hose herunter. Ich berührte seinen Körper auf der Suche nach Narben, Fehlern, Missbildungen, nach Stellen, die vielleicht an mich erinnern konnten, aber ich fand nichts.
Er blieb reglos sitzen, sich ergebend. Ich nahm mir seinen Körper, mich immer weiter vorantastend, Schritt für Schritt eignete ich ihn mir an, mich immer schneller bewegend, fester seinen Rücken umklammernd.
Als er kam, hatte ich das Gefühl, dass ich mit mir selbst geschlafen hatte. Und dass deswegen keine Spur, nichts dergleichen in mir hinterlassen worden war.
Danach stand er auf und schloss die Tür.
6.
– Die Ausstellung ist einfach schlecht, wie soll ich da etwas Gutes darüber schreiben? Eine Ansammlung eitler Typen, die sich selbst feiern, was soll man denn über eine solche peinliche Veranstaltung Substantielles berichten?, rief ich empört aus, als mir Leo mit ernster Miene verkündete, ich hätte es verhauen, müsste den Artikel schnellstens umschreiben.
Leo war ein alter Zeitungshase, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Damit hatte er es zum Chefredakteur eines mittelgroßen, mittelmäßigen Blattes gebracht. Ich war seit sechs Jahren dabei, und er versprach jedes Jahr, mir die Kulturabteilung ganz zu übertragen. Die Stelle hielt seit Ewigkeiten eine völlig überschätzte Kulturredakteurin besetzt, deren Feuilleton einfach nur zum Heulen war. Das Blatt machte einen guten Umsatz, und der Konzern plante, näher ans Publikum zu rücken und die Auflage zu erhöhen und damit auch Leos Gehalt, weswegen er seit kurzem penibel auf unsere Beiträge achtete und uns kritisierte.
Er hatte mir anfangs recht deutliche Avancen gemacht und war immer wieder bei mir abgeblitzt, bis ich nur noch hübsche Praktikantinnen einstellte, die seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten, und ich hatte damit auch richtiggelegen. Seitdem waren wir gut miteinander klargekommen, er ließ mich machen, ich durfte ab und zu gar kritischer sein, als es ihm die von oben vorgegebene Blattlinie eigentlich erlaubt hätte.
– Es ist dir hoffentlich klar, die Sponsoren dieser Ausstellung sind auch unsere größten Werbekunden für die Saison, das hier kannst du nicht schreiben, Stella.
Er wurde laut und blätterte dabei raschelnd meine Seiten durch, überflog kopfschüttelnd eine nach der anderen, legte sie beiseite, um sie wieder in die Hände zu nehmen.
– Ich bleibe dabei, die Kunst ist grauenhaft, der Kurator ist eine Katastrophe, der Umkreis stimmt nicht, es ist ein
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