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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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eingeschworener Kreis von eitlen Säcken, die in ihrer eigenen Suppe kochen, seit Jahren dasselbe.
    – Was kümmert es dich? Ich hab nicht von dir verlangt, sie für den großen Staatspreis vorzuschlagen, ich hab lediglich um eine neutrale Berichterstattung gebeten.
    – Das geht aber nicht. Nichts an der Veranstaltung ist neutral!
    – Stella, was ist los mit dir?
    Und er nahm schon wieder meine paar Seiten zur Hand und schlug damit auf den Tisch.
    – Du weißt, in welcher Lage wir uns befinden, ich kann mir jetzt nicht den geringsten Fehltritt erlauben. Hast du Stress zu Hause?
    – Aber das, was du von mir erwartest, ist absoluter Unfug, alles gelogen, ich kann doch nicht so unverschämt verlogen darüber schreiben.
    – Stella, ich habe jetzt eine Konferenz und kann und will nicht mit dir diskutieren, morgen gehen wir in Druck, und ich möchte, dass du den Artikel neu schreibst, neutral und wertfrei berichtest. Von mir aus mach es kurz und knapp. Deine Meinung ist an der Stelle nicht gefragt. Die Linie muss stimmen. Mach nächsten Monat von mir aus ein Interview oder ein Porträt und such dir einen begabten, uneitlen Weltveränderer, aber lass uns jetzt unsere Arbeit machen.
    Er begleitete mich zur Tür. Ich stand vor dem Fahrstuhl und bebte vor Wut. Ich wusste, meine Wut auf Leo war ungerecht, es war jahrelang so gelaufen, ich habe mir einiges erlauben dürfen, und nun erwartete er von mir, dass ich meine Klappe hielt und ihm den Rücken stärkte, aber aus irgendeinem Grund war es mir unmöglich. Auch wenn ich wusste, dass diese Wut gegen mich gerichtet war, gegen diesen Job, den ich ohne großen Widerspruch erledigte, gegen mein Leben, in dem ich auf einmal nicht mehr zu stimmen schien.
    Ich ging in mein kleines Büro am Ende des Flurs, das vollgehängt war mit Zetteln, Fotos, Ausschnitten, Erinnerungen aus sechs Jahren meines Lebens. Ich rief meine neue puppenhaft aussehende, großgewachsene Praktikantin zu mir, die so unglaublich organisiert, bodenständig und ehrgeizig schien, dass es manchmal fast unheimlich war.
    – Ich möchte, dass du diesen Artikel schreibst. Nichts Kritisches. Such das Positive. Lass durchblicken, dass die Veranstaltung wichtig war; dann schreib deinen Namen drunter und gib es kurz vor acht morgen bei Leo ab. Alle Informationen kannst du aus meinem Text entnehmen. Sieh mich nicht so an. Das geht schon klar, du bekommst keinen Ärger, na los, das ist doch eine Chance für dich, dass Leo deine Arbeit endlich schätzen lernt, was willst du mehr?, log ich und merkte, wie ihr anfängliches Misstrauen in Begeisterung umschlug.
    Im Foyer blieb ich stehen und bat den Wachmann, telefonieren zu dürfen.
    – Ich muss ihn sprechen, rief ich in den Hörer. Tulja schien außer Atem, anscheinend war sie die Treppen herunter- oder aus dem Garten hereingerannt.
    – Er ist nicht mehr bei mir, er ist in der Stadt, seit zwei Tagen. Er schreibt und hat sich wohl für ein paar Tage in irgendeinem Hotel einquartiert.
    – In welchem?
    – Keine Ahnung. Irgendeine Absteige wird es sein, du kennst ihn ja. Ich sag ihm jedes Mal, er soll sich mehr gönnen, und er …
    – Komm schon, Tulja, er hat es dir bestimmt gesagt, es ist wichtig.
    – Ihr habt euch doch schon gesehen. Mehr braucht es wirklich nicht.
    – Also wo?
    – Im Pacific. St. Pauli, wenn ich mich recht entsinne.
    Tulja hatte ein phänomenales Gedächtnis.
    – Ich dank dir.
    – Mach keinen Unsinn, hörst du!
    Ich legte auf und rannte zum Auto. Im Wagen lagen leere Pappbecher und Theos Spielsachen wild durcheinander. Ich fuhr los. Im Radio lief ein Song von Led Zeppelin, und ich erinnerte mich, wie Vater sich immer die Augen zugehalten hatte, wenn er das Lied hörte.
    Ich musste eine Weile suchen, parkte falsch, lief durch mehrere Seitensträßchen, bis ich endlich zu einem kleinen gräulichen Gebäude gelangte, das trotz des klingenden Namens tatsächlich eine Absteige war. Ich fragte nach Ivo. Der Portier rief ihn an, und kurze Zeit später stand Ivo in der heruntergekommenen Hotellobby vor mir. Er lächelte mich an und breitete die Arme aus.
    – Dich hätte ich hier am wenigsten erwartet.
    – Was hast du in so einem Hotel verloren? Kannst du dir nichts Besseres leisten?
    – Ich mag das hier, man fühlt sich nicht so wichtig in solchen Räumen.
    Wir fuhren in den zweiten Stock in sein Zimmer, leerten dort die Minibar. Ich brauchte den Alkohol, schon zum zweiten Mal seit seiner Rückkehr trank ich am helllichten Tag.
    Ich saß auf seinem

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