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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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zusammengekniffenen Augen unter. Einen Augenblick später kam er dramatisch keuchend und nach Luft ringend wieder hoch.
    – Wow, das ist ja echt mutig, bestärkte ich ihn und holte das Handtuch. Nach mehreren Versuchen, uns zu überreden, ihn noch eine Weile im Wasser zu lassen, gab er sich geschlagen und kam in meine Arme, wo sein trockenes Handtuch ausgebreitet auf ihn wartete.
    Nachdem wir Theo ins Bett gebracht hatten, setzte ich mich wieder an den Laptop, betrachtete widerwillig die Buchstaben. Nach einer halben Stunde kam Mark mit einer Weinflasche ins Arbeitszimmer und lehnte sich gegen die Tischkante, ich war gezwungen, ihn anzusehen.
    – Was ist los?
    Er entkorkte den Wein und schenkte ihn in die Kristallgläser, die Tulja uns zur Hochzeit geschenkt hatte, angeblich etwas Wertvolles aus dem Nachlass ihrer persischen Vorfahren, die aus irgendeinem komischen Grund in Ungarn gelebt hatten. Mark nahm die Gläser immer dann, wenn wir später besonderen Sex haben sollten oder wenn er mit mir ein besonderes Gespräch führen wollte.
    – Nein, nicht jetzt. Du siehst doch, ich arbeite. Und ich komme nicht voran. Morgen ist die Deadline.
    – Das ist es nicht, was dich beschäftigt.
    – Ich fühl mich einfach überfordert und brauche meine Zeit. Das wird schon wieder. Der Sonntag, und dann dieser Artikel und Theo und …
    – Ivo? Seit er aufgetaucht ist, benimmst du dich komisch.
    – Ja, klar, es hat sicherlich auch ein wenig damit zu tun. Es war doch auch ein merkwürdiges Wochenende. Dass wir alle zusammen wie früher dasitzen und es doch nicht mehr so wie früher ist und dann eben so ein paar Dinge hochkommen. Ich krieg mich schon wieder ein.
    – Vielleicht sollten wir ein paar Tage wegfahren? Wir könnten Theo bei meinen Eltern lassen.
    – Wie soll das gehen? Ich bin eh total im Verzug. Ich muss noch sehr viel …
    Er nahm mein Gesicht in die Hände und presste seine Lippen auf meine, er schmeckte nach Wein, und ich musste kurz daran denken, wie wir uns zum ersten Mal geküsst hatten – damals schmeckten wir auch beide nach Wein; damals schmeckte aber der Wein auf unseren Lippen heiter und süßlich; jetzt war der Geschmack bitter.
    Das Erwachsensein ist wohl der Punkt, wo man aufhört, einfach so zu leben, einfach so zu fühlen und wo alles, einfach alles eines Grunds bedarf, damit man es fühlt oder damit man es lebt, dachte ich und sah ihn an.
    – Sei jetzt nicht so, bitte …, murmelte er und setzte sich auf den alten, knarrenden Stuhl mir gegenüber, Beine übereinandergeschlagen, gelassen, selbstsicher. Er sah gut aus, das musste ich immer wieder feststellen, und er war gut, gut zu mir, gut für Theo, gut für unser Leben, für unsere Zukunft. Ein sensibler Mann, ein nachsichtiger, einer, der stets da ist, wenn man ihn braucht; in den ersten Monaten unserer Ehe konnte ich es nicht fassen, dass er tatsächlich von nun an jeden Morgen neben mir aufwachen würde. Und so wachte ich immer ein wenig eher auf als er und beobachtete ihn, beobachtete sein Gesicht, seinen Schlaf, der so gesund war, so sorglos, so wie Menschen sich den Schlaf vorstellen, die an Schlafstörungen leiden, in diesen Momenten empfand ich unverdientes Glück.
    – Und wie bin ich denn?
    Ich stand auf, klappte den Laptop zu und trat zu ihm, nahm seine Hand in meine und blickte ihn geradeaus an.
    – Fern. Als würdest du es dir nicht mal vorstellen können, dass ich deine Sorgen mit dir teilen könnte.
    – Ach, Mark.
    – Erzähl mir von ihm, du redest nie darüber. Ich weiß doch, dass es nicht einfach ist, aber komm, Stella, ich möchte alles wissen, ich möchte verstehen, warum dich eine so alte Geschichte immer noch belastet. Ich verspreche dir, ich bin nicht eifersüchtig, ich werde mich bemühen. Ich weiß, das ist ungewöhnlich und bestimmt nicht leicht, ich meine, ihr seid ja so was wie Geschwister gewesen und …
    – Es gibt da gar nicht viel mehr zu erzählen.
    – Siehst du, du bist …
    – Was? Ich bin so, wie ich bin. Mark, es ist einfach eine beschissene Phase, bitte mach es mir nicht noch schwerer, verdammt!
    Ich nahm sein Glas und trank es aus, ging dann zur Fensterbank. Ich sah auf die Straße, auf die vorbeifahrenden Autos und auf den Spielplatz, wo ich mit Theo so viel Zeit verbracht hatte. Immer hatte ich mich dabei von außen beobachtet: Stella, die verwirrte Mutter, neben all den schönen, in ihrer Mutterrolle aufgehenden perfekten Müttern, die immer wussten, was für das Kind gut war, die immer einen Rat

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