Mein Sanfter Zwilling
dem Mund. Ivo hatte mich am Arm gepackt und zerrte mich die Stufen hoch.
Mein Kopf drehte sich, und ich lachte. Ivo hielt mich fest und schüttelte mich immer wieder, mir wurde schlecht.
Am nächsten Morgen, als ich die Augen aufmachte, sah er auf mich herunter:
– Wenn du das noch einmal tust, wirst du mich nie wiedersehen, sprach er und ging aus der Wohnung.
Ich sah ihn erst drei Tage später wieder, drei Tage, die ich allein in der Wohnung herumsaß, heulte und die Kokainreste, die ich im Badezimmerschrank und auf dem Waschbecken fand, in mein Zahnfleisch rieb. Er kam nach Hause und nahm mich in die Arme. Und da wusste ich, dass es niemals anders werden würde, wenn ich in diesem kranken Kosmos dieser abgeschotteten Wohnung blieb.
17.
»Nein, es hätte wirklich niemals so weit kommen dürfen. Vielleicht können wir heute Abend gemeinsam ausgehen, wo Theo bei meinen Eltern übernachtet. Jan gibt eine Party. Wenn du einverstanden bist, gib mir kurz Bescheid, und ich hol dich gegen acht ab. Lass uns noch einmal von vorne anfangen. Dein Mann.«
So hatte er immer seine Briefe an mich unterschrieben. Dein Mann. Als würden diese Worte ihn definieren. Nicht sein Beruf, nicht seine Rolle als Vater. Der Zettel hing am Kühlschrank, unter einen Magnetdinosaurier von Theo geklemmt. Er schrie geradezu nach Vergebung, nach einem Neuanfang, nach einem Abend der Versöhnung, der alles wiedergutmachen und mir eine zweite Chance geben würde.
Aber der Zettel erinnerte mich auch an das Flugticket, das in meinem Laptop auf mich wartete und so leicht, so schnell auszudrucken war. Der Zettel erinnerte daran, dass alles eine Lüge war, dass ich niemals ein Kind hätte in die Welt setzen sollen von einem Mann, der alles immer richtig gemacht hatte.
Der Zettel erinnerte daran, dass ich unendlich allein war.
Ich ließ Wasser in die Badewanne laufen und legte mich hinein. Das Wasser war so heiß, dass es brannte und meine Haut rot verfärbte. Ich sah auf meinen Körper herunter, auf meine Arme, Beine, auf meinen Bauch, in dem einmal ein Embryo herangewachsen war, auf dem immer noch ein paar Schwangerschaftsstreifen zu sehen waren. Ich blickte auf meine Brüste, die schwer im Wasser lagen. Auf meine Füße, die so sehr den Füßen meines Vaters glichen, die mir als Kind immer als etwas Peinliches, Obszönes erschienen waren, deretwegen ich mich immer geweigert hatte, Sandalen zu tragen. Ich sah auf meine Knie, gerötet und faltig.
Ich wusste nicht mehr, was ich mit diesem Körper anfangen sollte. Wem er gehörte. Wohin ich meine Glieder strecken sollte, wohin ich meine Beine bewegen sollte. Ich tauchte unter.
– Das ist dein linker Knöchel. Der kleine Zeh gehört mir, und schau, die rechte Brustwarze schreit regelrecht danach, dass ich sie adoptiere. Und das Haar, ja, das dunkle Haar, das gehört auch mir.
Ich kicherte, während er meinen Körper befühlte, am Wannenrand sitzend, und auf mich hinunterschaute, Badesalz über mich streute, als wäre ich eine sorgfältig zubereitete Mahlzeit, eine Mahlzeit, die er gleich serviert bekommen würde.
– Und na ja, den Ellenbogen den muss ich dir lassen, den brauchst du schon selbst, also muss ich darauf verzichten. Aber die Nasenspitze, die gehört unbedingt mir. Die darf auch nie jemand anderer anfassen, nicht mal du, hörst du? Wenn dir die Nase läuft oder wenn sie juckt oder wenn sie kalt wird, dann musst du mich rufen und meine Hand steht dir zu Diensten.
Er rutschte zu mir in die Badewanne, die zu eng für uns beide war.
– Und was mache ich mit meinem Po? Der ist bestimmt traurig, dass du ihn nicht haben willst, kicherte ich und zog an dem Joint, den er mit der linken Hand angezündet hatte, während er mir mit der rechten Shampoo in die Haare massierte.
– Bist du verrückt? Dass der mir gehört, versteht sich doch von selbst, oder? Das muss man nicht diskutieren.
Und ich kicherte erneut und tauchte unter.
Dann begann er, mich mitzunehmen. In seine Bars und Keller. Zu seinen merkwürdigen Freunden. Er nahm Acid, ich nahm es auch. Ivo schrieb weiter, fuhr auf Dienstreisen, während ich immer weniger auf die Reihe bekam. Im Unterschied zu mir schaffte er es, seine Drogentrips von seiner Arbeit klar zu trennen. Wenn am nächsten Tag eine Recherche anstand, wenn er nach Berlin musste, wenn er irgendwelche Menschen zu interviewen oder einen Fototermin hatte, dann stand er morgens pünktlich da und sah blendend aus, als hätte er nicht die Nacht durch getrunken, gekokst
Weitere Kostenlose Bücher