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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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rutschte es mir raus.
    – Das sollte ich dich fragen.
    – Ich bin auf Dienstreise. Und würde es auch gern bei einer Dienstreise belassen.
    – Oh, du bist immer noch sauer auf mich. Komm, ich lad dich zu einem Drink ein.
    – Schöner Versuch, Ivo.
    – Hey, Stella. Ich muss mit dir reden. Ich meine es ernst.
    Und schon wieder veränderte sich seine Mimik in Sekundenschnelle, und er ergriff meine Hand. Ich zog meine zurück und wendete mich ab.
    Ich unterhielt mich mit meinem Kollegen und dessen Freunden, während Ivo zu mir herüberstarrte und mich jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten, angrinste. Er war mit ein paar skurrilen Typen da, die ich alle auf keinen Fall kennenlernen wollte. Ich mied ihn, so gut es auf siebzig Quadratmetern ging. Als ich auf die Toilette ging, folgte er mir und stellte sich vor mich hin.
    – Warum verfolgst du mich? Ich weiß nicht, worüber wir reden sollten.
    – Willst du mich nicht mehr?
    – Was soll das?
    Ich hasste seine Art, mich anzusehen, seine Mundwinkel dabei ein wenig nach unten gezogen, seine Augen strahlend und klar, seine Arme leicht in meine Richtung haltend.
    – Lass uns zusammenziehen. Ich komme nach Hamburg. Ich habe keine Lust mehr auf diese Scheißstadt und auf dieses Zigeunerleben. Lass es uns versuchen.
    – Bist du auf Droge?
    – Nein, ausnahmsweise nicht. Ich habe gute Laune, wenn ich dich sehe.
    – Ivo, ich find das nicht witzig.
    – Ich meine es ernst. Ich hab viel nachgedacht seit Tuljas Geburtstag, und ich denke, was soll’s. Ich ziehe nächsten Monat nach Hamburg, und wenn du immer noch ein klitzekleines bisschen bereit bist, mich zu mögen, dann …
    Ich drehte mich um und verschwand auf die Damentoilette.
    Ivo zog tatsächlich einen Monat später nach Hamburg. Nicht weit weg von dem Ort, wo ich das erste Mal mit ihm geschlafen hatte, und er bombardierte mich mit Telefonanrufen. Er versuchte nicht, mich zu sehen, rief immer nur an oder schrieb Briefe oder kleine Zettel, die er unter meiner Tür durchschob. Dann begann er mir Blumen zu schicken. Meist eine Orchidee oder drei rote Rosen, warum es immer drei waren, habe ich nie herausgefunden.
    Einmal klingelte das Telefon um zwei Uhr morgens, und ich wusste, dass er es war, und sagte ihm, er solle kommen. Ich sagte nicht Hallo und nannte auch nicht seinen Namen, sondern sagte einfach: Komm her.
    Eine Viertelstunde später war er da.
    Innerhalb einer Woche hatte ich meine Sachen gepackt und war zu ihm gezogen. Ich misstraute seiner Veränderung, seiner radikalen Entscheidung, mit mir, bei mir zu sein, aber ich war so glücklich, dass ich dieses Glück niemals mit irgendwelchen Fragen gefährdet hätte.
    Wir liebten uns morgens, abends, nachts. Nach dem Duschen, vor dem Duschen, in der Küche, im Zimmer, im Flur, manchmal, noch bevor wir in der Wohnung waren, sogar im Treppenhaus. Wir sprachen kaum miteinander, wir aßen wenig, und die Arbeit kam zu kurz. Wir arbeiteten kaum, und wenn ich in den Verlag ging oder er für einen Bericht wegfahren musste, riefen wir uns gegenseitig an und überlegten uns die nächste Möglichkeit, uns zu lieben.
    Leni war die Erste, die anfing, Fragen zu stellen, sie kam eines Morgens ohne Vorwarnung und überhäufte mich mit unzähligen Fragen über Ivo, denen ich versuchte so gut es ging auszuweichen.
    Auch Frank fing an, uns Besuche abzustatten, und als er aus heiterem Himmel ein Familienessen bei sich veranstaltete und auch Tulja einlud, die tatsächlich kam, war klar, was uns bevorstand.
    Ich weiß nicht mehr genau, ob es Leni oder Frank war, der eine dumme Bemerkung machte, und wenn ich mir solch einen Moment vorgestellt habe, was ich die Jahre davor oft getan hatte, dann war ich in meiner Vorstellung immer diejenige, die anfing gegen die ganze Welt anzukämpfen, für Ivo, für mich. Ich war diejenige, die wie damals anfing für ihn zu sprechen. Aber diesmal stand Ivo auf; er hatte schon reichlich getrunken und sagte seelenruhig:
    – Wir sind zusammen. Deswegen wohnen wir auch zusammen. Gibt es noch Fragen?
    Es entstand Stille, die nicht enden wollte, Tulja war die Einzige, die sich immer wieder räusperte und irgendwelche Geräusche machte. Leni begann zu lachen – hysterisch, als würde sie, was sie gehört hatte, nicht in ihr Hirn pressen können und sich mit dem Lachen davor schützen. Ivo stand einfach auf und spazierte aus dem Zimmer und ließ mich mit dem Gefühl zurück, in tausend kleine Stücke zu zerspringen.
    Ivo hatte das Haus verlassen, ich

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