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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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den Tod kein einziges Mal erwähnt, immer nur über das Leben gesprochen. Obwohl alles auf den Tod hinauslief. – Max fragt sich, ob sie das jetzt nachholt, so exzessiv, wie sie darüber redet.
    » Und dann sterben sie einem weg. Mein Paul innerhalb von zwei viel zu kurzen Monaten. Oder die Tochter meiner Freundin Hedwig. Die war so alt wie Sie jetzt, überfahren von einem Müllauto. Und meine Nachbarin hat ihre beiden kleinen Kinder bei dem Tsunami verloren. Buchstäblich. Einfach weg. Nicht einmal eine Beerdigung. Meinen Sie wirklich, für die gäbe es Trost? Das ist doch blanker Hohn.«
    Dass es gar keinen Trost gibt, möchte Max nicht stehen lassen, ohne dass ihm ein Grund einfällt. Als hätten Trauernde eine Pflicht, sich trösten zu lassen. Die Zeit heilt alle Wunden. Weisheiten dieser Art sind das Einzige, was ihm in den Sinn kommt. Als hätte er als Nichtbetroffener ein Anrecht darauf, dass Sophie ihr Leben irgendwann wieder genießt. Irgendetwas muss es doch gegeben haben, bohrt er weiter, die Anteilnahme ihrer Freunde, hat die den Schmerz nicht wenigstens gelindert?
    Nein, erklärt Sophie kategorisch, im Gegenteil. Die meisten verwechselten Trösten mit gute Ratschläge Geben. Und mit der Zeit sei das Mitgefühl der Freunde sogar in Ungeduld umgeschlagen. So viele Jahre der Trauer seien nicht mehr normal, sagten sie inzwischen. Am schlimmsten aber seien die Bücher über » Trauerarbeit«. Die täten alle so, als müsste sie nur tapfer die vorgegebenen Phasen zu neuer Unbeschwertheit durchschreiten, als gäbe es eine Pflicht, irgendwann wieder ins Sonnenlicht des Lebens zu treten.
    » Alles Quatsch. Vielleicht mag ich deswegen keinen Trost. Weil er mir aufgezwungen wird.«
    Max fühlt sich um etwas betrogen. Sophie spürt sein Unbehagen und setzt nach: » Alles Getröste hat mit Macht zu tun. Schauen Sie sich die Tröster doch an: Gott, der seine Geschöpfe tröstet – oder einer seiner selbsternannten Vertreter, oder Eltern, wenn sie ihren Kindern beim Trösten das Blaue vom Himmel vorlügen, immer von oben runter. Wenn überhaupt, dann müsste es Trost auf Augenhöhe sein. Aber so was habe ich noch nicht gefunden.«
    » Trost auf Augenhöhe. Nein, der ist mir auch noch nicht begegnet.«
    Kaum weiß sie Max auf ihrer Seite, entspannt Sophie sich.
    » Vielleicht ist da doch etwas. Dass es auf dieser Welt Dinge gibt, die der Zerstörung widerstehen, das gibt mir Halt. Die Kraft meines Mannes gegenüber dem Tod, sein innerliches Aufgerichtetsein, gerade die letzten Tage über. Das konnte diese heimtückische Krankheit nicht zerstören. Das war stärker. Vielleicht ist das etwas entfernt Vergleichbares wie Trost.«
    Sie sieht Max lange an und erzählt ihm eine Geschichte.
    Während des Studiums hat sie schon einmal einen geliebten Mann verloren. Er hat sich umgebracht, aus Angst, die Dämonen in seinem Inneren nicht mehr zügeln zu können. Vor dieser unheimlichen, schwarzen Kraft wollte er sie beschützen. Sophie fand ihn im ausgebauten Dachgeschoss seines Hauses. Nackt und mit ausgestreckten Armen lag er am Boden. Damals hat sie sich mit Wut getröstet, mit maßlosem Zorn darüber, dass er seinen Selbstmord während ihrer ganzen Beziehung geplant hatte. Als hätte er nur mit ihr gespielt. Dieses perverse Gefühl rettete sie über die schlimmsten Monate. Ob das wohl Trost ist?
    Max denkt nach. Was soll er auch sagen? Er weiß es nicht. Zu seiner Überraschung strahlt Sophie.
    » Mit Paul habe ich in Budapest einmal jemanden gesucht, der einen geerbten Pelz umarbeiten kann. Nach langem Suchen haben wir an einem unscheinbaren Wohnhaus ein Schild entdeckt: III . Stock, Kürschner. Wir klingelten. Es öffnete eine alte Dame. Nachdem wir ihr unser Anliegen geschildert hatten, wollte uns die Frau gerade unverrichteter Dinge verabschieden, als eine männliche Stimme etwas aus dem Nebenraum rief. Die Frau verschwand. Wenig später kam ein Mann, im Anzug und mit einem Luftröhrenschnitt, schon deutlich vom Tod gezeichnet. Er ließ sich den Mantel zeigen. In drei Tagen könnten wir ihn abholen, sagte er uns. Seine Frau schüttelte nur den Kopf. Da haben Sie es wieder, es gibt Dinge, die mächtiger sind als der Tod. Jemand tut seine Pflicht bis zum Schluss. Den Mantel trage ich übrigens noch immer.«
    Max denkt lange über ihre Worte nach.
    » Wahrscheinlich haben Sie Recht. Trost ist nichts Süßliches, nichts mit Flügelchen und Sinnsprüchen. Zumindest nicht, wenn er wirken soll.«
    Sophie nickt.
    » Wir müssen

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