Mein schwacher Wille geschehe
aus den finanziellen Ergebnissen der Insolvenzverfahren führen zu dem Schluss, dass der größte Teil dieser Forderungen uneinbringbar ist.«
Weg ist weg, nichts mehr zu holen. Woher aber kommt der Drang nach mehr, der den sorgsam abwägenden Umgang mit dem Verfügbaren so leichtfertig verwirft? Der Wissenschaftsjournalist Stefan Klein verweist auf die neurologischen Hintergründe bei den Kapriolen des Bewusstseins. »Tief im Gehirn«, schreibt |112| Klein in seinem Bestseller
Die Glücksformel
, »arbeitet ... ein Detektor für Neues und Besseres, ohne den wir unfähig wären zu lernen.« Es geht dabei weniger um Sinn als vielmehr um ein permanentes Ausprobieren und Neusortieren. »Weil dieser Mechanismus viel älter und mächtiger als die menschliche Vernunft ist, kann er uns tückischerweise auch wider alle Vernunft handeln lassen. (...) Wir sind programmiert, immer das Beste zu wollen, was es gibt. Doch wenn wir es haben, gewöhnen wir uns schnell daran. Trotzdem erstreben wir es fast um jeden Preis. (...) Der Londoner Hirnforscher Raymond Dolan hat einige der Schaltkreise entdeckt, die dafür verantwortlich sind. Er amüsierte Versuchspersonen mit einer Art Pokerspiel, während er ihre Köpfe im Positronen-Emissionstomographen durchleuchtete. Machten die Probanden unerwarteten Gewinn, zeigte sich eine Region im Vorderhirn aktiv. (...) Für die Gehirne machte es dabei nicht den geringsten Unterschied, ob echtes Geld oder wertloses Spielgeld zu gewinnen war. Auch bei Videospielen, wo es nur galt, einen Punktestand zu steigern, sprang das Erwartungssystem an. Offenbar fragt der Mechanismus nicht danach, wie nützlich es ist, etwas zu bekommen – wo immer es etwas zu holen gibt, will er es einfach nur haben. Der Ansturm auch wohlhabender Zeitgenossen beim Schlussverkauf und die horrenden Auflagen von Schnäppchenführern mögen darin ihre Erklärung finden.« 20 Trotz der fürsorglichen Belagerung, mit der man danach trachtet, das sinn- und zielorientierte Handeln des Menschen zu hegen und zu pflegen, ist der
homo oeconomicus
eine eher unwahrscheinliche Erscheinung. Neurologisch gesehen gibt es keine Vernunft, die sein Tun steuert. Der ständige Drang zu optimieren, folgt vielmehr den Regeln eines immanenten Spiels. Im Gehirn gibt es keine Instanz, die sich mit dem Erreichten zufrieden gibt.
Für den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist der Drang, stets mehr auszugeben als man hat, Ausdruck einer umfassenden Regression. »Der Glaube, man könnte über seine Verhältnisse |113| leben und keinen Preis dafür zahlen«, schreibt Schmidbauer in seinem konsumkritischen Bestseller
Jetzt haben, später
zahlen
, »ist die zentrale Illusion der Konsumwelten.« In ihnen herrscht die Dynamik permanenter Steigerungsprozesse. »Die Stereoanlagen müssen perfekter, die Fernreisen weiter, die Fernsehprogramme tabubrechender werden. Es darf in diesen Konsumfortschritten keine Pausen geben.« Und auf perfide Weise, so Schmidbauer, werde die Regression mit scheinbaren Konfliktlösungen kombiniert. Wir erliegen den Tücken des Konsums nicht zuletzt dort, wo wir glauben, uns gut auf seine hinterhältigen Mechanismen eingestellt zu haben. »Es gibt eine breite Palette von Produkten«, schreibt Schmidbauer, »die gleichzeitig an die Gier und an die Disziplin appellieren, zum Beispiel die kalorien- und alkoholreduzierten Leichtgetränke, die gesunden Zigaretten, die Du darfst-Diätprodukte, die umweltfreundlichen Konsumartikel, die energiesparenden Elektrogeräte, die biologisch-abbaubaren Chemikalien.« 21 Der Markt nimmt den Wirtschaftsbürger in die Doppelzange von Vernunft und Verführung.
Sind mit dem
homo oeconomicus
überhaupt gute Geschäfte zu machen? Für den unternehmerischen Menschen ist wirtschaftliches Handeln stets ein riskantes Jonglieren mit vielen Bällen auf hohem Drahtseil. Um dabei zu reüssieren, so legen es die meisten Selbstbeschreibungen erfolgreichen Unternehmertums nahe, bedarf es einer besonderen Magie. Zum Unternehmer muss man geboren sein, und es braucht mehr als nur gute Kenntnisse in Warenkunde und Buchführung. Ein Unternehmen hätte wohl nur geringe Marktchancen, ginge es nicht auch gewagte Investitionen ein. Während Risikobereitschaft im sozialen Umfeld stets als ambivalente Haltung eingestuft wird, ist sie im Bereich der Wirtschaft überwiegend positiv besetzt. Nur wer etwas wagt, erhält sich die Möglichkeit, seiner Zeit ein wenig voraus zu sein. Mit dem Typus des hasardierenden Unternehmers
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