Mein schwacher Wille geschehe
oder kulturellen Vision gefördert wurden. Andererseits gibt es gerade in Ostdeutschland eine Reihe von Bauvorhaben, die als wirtschaftliches Großprojekt begannen und als grober Unfug endeten.
Ob er keine Angst habe, dass ihm da etwas über den Kopf wachse? Niermann überlegt. »Alles, was ich mache, mache ich als Schriftsteller«, sagt er. Er habe sich schon mehrfach gefragt, wann für ihn eine Grenze überschritten sei. Das Schöne an dem Projekt sei aber, dass es andere übernehmen können. »Ich habe keine Angst vor Ideenklau. Wenn irgendwer anders die Pyramide baut, würde ich mich darüber freuen.«
Niermanns Umbauvisionen bewegen sich im Rahmen einer künstlerischen wie ökonomischen Tradition. In Zedlers
Universal
Lexicon Aller Wissenschaften und Künste
von 1741 werden »Projectenmacher« aufgeführt, »welche den Leuten dieses oder jenes Project, davon sie sich vor die Erfinder ausgeben, entdecken, und sie zu deren Ausführung unter scheinbahren Vorstellungen eines daraus zu erwartenden grossen Gewinstes anermuntern.« Und der Nationalökonom Werner Sombart sah in ihnen »Romantiker der Tat, die unruhigen und fein organisierten Gehirne, Bankrotteurs mit einem möglichst düstern Hute auf dem Kopfe, Bohemiens, die aus der Bourgeoisie entwischt sind, ... schmutzige |119| Abenteurer, die im Kot auf der Straße oder in der vergoldeten Haut eines großen Finanziers enden.« Für den Literaturwissenschaftler Georg Stanitzek ist der Projectenmacher eine Figur der bürgerlichen Aufklärung, der von ihr schlussendlich aber abgewehrt wird. Er verkörpere eine »unmögliche« moderne Kategorie.
Inzwischen wird mancherorts kräftig in Möglichkeitssinn investiert. Zustande kommt die Pyramide außerdem nur, wenn die Gemeinde Dessau-Rosslau sie auch will. Der Förderverein will kein Investor sein, sondern versteht sich eher als ein intellektueller Motor. Und den Suhrkamp-Autor Niermann interessiert die Zukunft des Intellektuellen. »Ich will nicht nur die Welt beobachten, ich mache Experimente.« Und die beschäftigen ihn auch dann, wenn sie schief gehen. In seinem Band
Minusvisionen
24 hat er Gespräche mit jungen Unternehmern, Lebenskünstlern und Hasardeuren protokolliert, die mit seltsamen Projekten reüssierten und bisweilen Pleite gingen. Herausgekommen ist dabei eine kleine Wirtschaftsgeschichte der Neunzigerjahre zwischen Soll und Sollen, die von einer ganz anderen Ökonomie der Verschwendung erzählt.
Auch dafür gibt es Vorbilder. Eine vergleichbare Sammlung von skurrilen Bankrotteuren hat der Berliner Journalist Helmut Höge bereits 1997 in seiner
Berliner Ökonomie. Prols und Contras
25 vorgestellt. Großstadtromantiker Höge war damals noch davon beseelt, mit einer Art investigativem Potlatsch einen Gegenentwurf zum allzu glatten Funktionieren der Berliner Republik aufzubieten, deren Selbstbenennung ihm schon damals als Zumutung erschien. Im ökonomischen Scheitern sah er hingegen eine Art subversiven Gegenzauber. Die sich in Niermanns und Höges Protokollen abzeichnende Kultur des experimentellen Scheiterns jedenfalls leidet nicht mehr an dem Druck, der auf einem Leben über den Verhältnissen lastet. Nach einer sauber hingelegten Pleite probiert man sich gleich wieder an neuen Ideen |120| aus. Ihr Lebensmotto lautet lakonisch: »Geht doch«. Andererseits sollte gerade hier der Aufdruck auf der Gebrauchsanweisung Beachtung finden: »Probieren Sie es bitte nicht zu Hause aus.« Für den massenhaften Gebrauch jedenfalls scheint das experimentelle Unternehmertum noch nicht ganz reif.
|121| Die Kunst der Verspätung
»Er bereut kein Hindernis, nichts, das ihn aufgehalten hat. Hätte er gewusst, dass er achtzig wird, er hätte mit allem noch länger gewartet.«
Elias Canetti
Wer zu spät kommt, das wissen wir seit Michael Gorbatschow und dem unaufhaltsamen Ende der DDR, der hat mit Strafe zu rechnen. Dabei hat Gorbatschow den berühmten Satz so wohl nie gesagt. Die zeitliche Dimension des Zitats, das Endgültigkeit heraufbeschwörende »zu spät«, fehlte im russischen Original völlig. Gorbatschow hatte sich sehr viel zurückhaltender ausgedrückt. Anlässlich des 40. Jahrestags der DDR soll er unter Ohrenzeugen vielmehr gesagt haben: Schwierigkeiten lauern auf den, der sich dem Leben nicht stellt. Nichts Dramatisches also. Schwierigkeiten lauern. Das tun sie doch eigentlich immer. Was danach jedoch aus dem Satz wurde, kann als Lehrstück für das Wechselverhältnis von Mythos und Mythisierung gelten.
Weitere Kostenlose Bücher