Mein schwacher Wille geschehe
hat sich längst auch die Werbebranche angefreundet. So zeigte |114| vor einiger Zeit ein TV-Spot für eine Sektmarke zwei Geschäftsleute, die sich in einer Art Aussichtsturm zuprosteten. Sie hatten einen Geschäftsabschluss zu feiern und fragten sich am Ende selig erschöpft: »Haben wir überhaupt eine Chance?« Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Geschäftsleute gaben sie sich ironisch lächelnd gleich selbst: »Eigentlich nicht.« Sie schienen keineswegs unter den schlechten Aussichten zu leiden. Die Champagnerlaune rührte vielmehr aus dem belebenden Gefühl, etwas gegen alle Prognosen zu wagen. Wer sich ausschließlich am Erwartbaren orientiert, soll das wohl bedeuten, hat am Ende nicht viel zu erwarten. Man darf allerdings vermuten, dass solch ein Werbeclip in Zeiten erschütterter Börsen eher geringe Realisierungschancen hat. Die Werbebranche registriert derlei Stimmungsschwankungen kaum langsamer als die Börse.
Dass der Kapitalismus selbst in Zeiten schwerer Krisen nicht einfach aufhört, hat nicht zuletzt psychologische Ursachen. Unterstützt wird die individuelle Risikobereitschaft durch eine Disposition, die selbst bei allgemein schlechter Einschätzung der Lage die jeweils eigenen Chancen gut bewertet. Wir sind bereit, auch dann noch an uns zu glauben, wenn andere die Hoffnung bereits fahren gelassen haben und die objektiven Rahmenbedingungen alles andere als günstig stehen. Dennoch gibt es Gründe, vom Vorhaben nicht einfach abzulassen. Ohne Zuversicht kein zukunftsorientiertes Handeln. Das gilt gerade dann, wenn man auf die Unterstützung Dritter angewiesen ist. Jede Kreditvergabe basiert auf der wechselseitigen Annahme, dass später schon wieder hereinkomme, was leider gerade fehlt. Die Vertragspartner vertrauen auf das Gelingen in der Zukunft. Das ist keineswegs nur bei wirtschaftlichen Aktivitäten der Fall. Ohne die Fähigkeit zu vertrauen, verließen wir am Morgen wohl nicht einmal das Bett. Selbstvertrauen ist so gesehen eine psychische Ressource, die sich über die skeptischen wie vernünftigen Einwände hinwegsetzt. Wir glauben fest daran, dass die Kreditkarte des Lebens |115| noch belastet werden kann, wenn der Automat bereits so unmissverständlich wie bedrohlich signalisiert: Heute leider keine Auszahlung mehr möglich.
Und so sind wir stets versucht, bei den täglichen Geldtransfers nicht zuletzt auch die Fantasie ins Spiel zu bringen. Gerade dann, wenn es am Geld mangelt. »Die gleiche Ausgabe«, schreibt der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann, »die einem wohlhabenden Haushalt als banal erscheint, von schwacher identitärer Kraft (zum Beispiel ein Staubsauger oder eine Theaterkarte), bedeutet für denjenigen, der nicht an Extras gewöhnt ist, einen Bruch mit dem Alltäglichen. Sie wird daher tendenziell sehr viel mehr in der Fantasie bearbeitet, von Träumen und Plänen vorbereitet, die ihr Erfindungspotenzial bis zum Äußersten kultivieren.« 22 So schildert Kaufmann seine Interviewpartnerin Martine als eine gute Fee, die anders als Gontscharows Held Oblomow viel Mühe darauf verwendet, das traute Heim ihrer Familie in Schuss zu halten. »Aber vor allem zaubert sie jeden Tag. Sie ist eine richtige Künstlerin des Wunderbaren, verwandelt das scheinbar Gewöhnliche in das, was sie himmlische Momente oder anderes kleines Glück nennt.« Sie ist nach Kräften bemüht, die ökonomische Dimension außer Kraft zu setzen. »Das erste Geheimnis ihres Zauberstabes sind die Träume, deren Kraft sich anlässlich von ungewohnten Käufen entfaltet. Zum Beispiel die Eismaschine.« In Martines Fall führen die unstillbaren Konsumwünsche keineswegs in den Abgrund. Die wunderbare Eismaschine verhalf der kleinen Familie gar zu einem Stück neuer Identität, die freudig mit anderen zu den entsprechenden Familienfesten inszeniert und erweitert wurde. Doch auch Martine muss am Ende als Beispiel für die besondere Störanfälligkeit konsumistischer Befriedigung herhalten. »Leider machen auch die besten Feen manchmal Fehler«, schreibt Kaufmann. »Martine träumte manchmal zu sehr. Besonders war sie für einen mental katastrophalen Misserfolg verantwortlich, indem sie ihre kleine Familiengruppe |116| in einen völlig unerreichbaren Traum hineingezogen hatte: den Kauf eines Wohnmobils. Zwei Jahre lang hatte sie die Begeisterung angefacht, dann erst erkundigte sie sich ernsthaft nach dem Preis.«
Einen verlässlichen Schutz vor einem Leben über den Verhältnissen gibt es nicht.
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