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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Nutt
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Konsumentendaseins besteht heute darin, aus allen Fragen distinktiver Vielfalt mit einem schlüssigen Profil hervorzugehen. Bloße Konsumption reicht nicht, es kommt darauf an, es mit Maß und Stil zu tun. »Coffee-to-go«-Trinker lassen schon an der Menge der Becher erkennen, dass Arbeitszeit ein teures Gut ist. Man trinkt nicht für sich, sondern holt für die Gemeinschaft. Kannte der Büroangestellte einst feste Kaffeepausen, Auszeiten vom immergleichen Tun, so befindet sich das neue Prekariat der Kreativen im permanenten Projekt. Gemeinschaftlicher Kaffeegenuss ist das bevorzugte Merkmal flexibilisierter Beruflichkeit. Einer geht noch. Und er geht für alle.
    Die verfemte Kehrseite der öffentlichen Regelung des Flüssigkeitshaushaltes ist deshalb nicht aufgehoben. Am anderen Ende der Getränkeaufnahme befindet sich nach wie vor der stigmatisierte Trinker. So sehr sich die Wirtschaftsbürger im Konsum auch neu entwerfen mögen, der Verbrauch von Genussmitteln ist immer noch das Einfallstor tugendlicher Gefahren. Essen, Trinken und Rauchen – oder vielmehr die Begleiterscheinungen davon – sind die bevorzugten Praktiken, an denen individuelle Willensschwäche dargestellt und verhandelt wird. Zu viel, zu oft, zu maßlos. In nichts zeigt man sich ungeschützter als bei der Nahrungsaufnahme. Es gibt nichts, oder fast nichts, zu verbergen. Es geht um das Allergewöhnlichste und man kann sich dabei sehen lassen. Während sich der Drogenkonsument schon aus Angst vor Strafe, aber wohl auch aus Scham vor der Zurschaustellung seines verfemten Tuns, in dunkle Seiteneingänge und enge Bahnhofswinkel verdrückt, trinkt, raucht und isst man weitgehend ungeniert. Andererseits ist Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit stärker verpönt als das Rauchen. Der graduelle Verlust an Zurechnungsfähigkeit, den der Trunkenbold nicht länger überspielen |181| kann, macht ihn für die Gemeinschaft eher zu einem warnenden Beispiel als zu einer massiven Bedrohung. Den Raucher kann man rausschicken, vom Trinker hat man wenig zu erwarten. Er ist lästig, aber irgendwie auch verloren für gut gemeinte Appelle.
    Was dennoch bleibt, ist ein gemeinschaftlicher Bezugspunkt. Auf andere Weise als das Kaffeetrinken ist auch der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit eng verknüpft mit der Repräsentation von Arbeit. Mühelos findet man im Stadtbild Gruppen von Straßen-, Bauarbeitern und Malern, die sich in ihren Pausen zuprosten. Die körperliche Anstrengung ihres Jobs, erkennbar an der verschmutzten Arbeitskleidung, wird zur Legitimation demonstrativen Alkoholgenusses am helllichten Tag herangezogen. Diese in Kauf genommene Nähe zum Tabu ist alles andere als ein Ausdruck von Willensschwäche. Man darf es, weil man etwas dafür getan hat. Der täglichen Plackerei steht ein spürbares Bedürfnis gegenüber, ungestüme Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Derart zu trinken wird in der Regel mit einer betonten Körperlichkeit kombiniert. Die öffentlichen Trinkgebaren sind zugleich abfällige Kommentare zu den verbreiteten Ansichten über gesundheitliche Selbstschädigung. Es ist ein rebellisches Trinken, das sich über einen unausgesprochenen
common sense
hinwegsetzt. Angesichts des auffälligen Wandels gesellschaftlicher Normsetzung darf es nicht verwundern, wenn auf das allgemeine Rauchverbot in naher Zukunft auch ein Verbot des Alkoholgenusses in der Öffentlichkeit durchgesetzt wird. Gesundheitspolitische Begründungen dürften sich finden. Entsprechende, von Krankenkassen oder Gesundheitsverbänden in Auftrag gegebene Studien sind in Vorbereitung. Sie bedienen und bekräftigen das Bedürfnis nach politischer Handlungsfähigkeit.
    Mit dem exzessiven Trinken hingegen verbindet sich noch immer die in einer Art Sportjargon kommunizierte Leistung, etwas vertragen zu können. Wer jenseits solcher Gebaren trinkt, tut es |182| verschämt oder mit einer Haltung permanenter Entschuldigungsversuche. Wieder andere haben sich zu einer Position durchgerungen, in der sie ihren Alkoholismus offensiv behaupten. »Alloholiker! Na und?« Es ist ein Rebellentum, das oft mit erstaunlichen negativen Willensleistungen in Form von Weigerung verknüpft ist. Die öffentliche, per Popsong übermittelte Absage eines Drogenentzugs hat die britische Sängerin Amy Winehouse weit über die Musikbranche hinaus berühmt gemacht. Gerade im Stigma, das ist nirgendwo plastischer durchexerziert worden als im Pop, finden sich erstaunliche Möglichkeiten zur Selbstmodellierung.
    Dabei

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