Mein schwacher Wille geschehe
Sicherung des Spielvermögens besteht.
Diese Art wohlmeinender staatlicher Fürsorgepflicht hat in der hiesigen Geschichte des Glücksspiels eine willkommene Begleiterscheinung zufolge. Aus dem prinzipiellen Genehmigungsvorbehalt ist dem Staat ein Angebotsmonopol erwachsen, das dem Fiskus nicht nur Steuereinnahmen sichert, sondern ihn auch die Struktur des seit Jahrzehnten an Bedeutung gewinnenden Glücksspielmarkts gestalten lässt. Diesen Widerspruch hatte auch das Bundesverfassungsgericht im Auge, als es 2005 das staatliche |175| Glücksspielmonopol grundsätzlich bestätigte, von ihm aber nachhaltigere Maßnahmen hinsichtlich des Spielerschutzes verlangte. So gesehen bekräftigte auch das Bundesverfassungsgericht die Vorstellung von einem willensschwachen Bürger, der vor einem freien, allzu freien Marktgeschehen bewahrt werden soll. Das Beispiel des Glücksspiels jedenfalls zeigt, wie schwer der Umgang mit Willensschwäche und deren Abgrenzung zur Krankheit ist.
|176| Selbstmodellierung und Verwilderung
»Wer den Überblick noch hat, fährt nicht schnell genug.«
Christoph Schlingensief
Wenn es kalt wird in der großen Stadt, dann schlägt man den Kragen hoch, senkt das Haupt und beschleunigt den Schritt. Durch so ein Sauwetter, bei dem man, wie es früher hieß, keinen Hund vor die Tür schickt, will man hindurch so schnell es geht. So war es zumindest bis zur Verabschiedung des Raucherschutzgesetzes im Jahr 2007. Inzwischen treibt es vergnügungsbereite Städter auch an nasskalten Novembertagen draußen vor die Kneipentür, wo sie sich an glühenden Heizpilzen erwärmen und ein paar Züge an der Zigarette im kühlen Abendniesel genießen. Das Rauchverbot hat eine Italienisierung der Verhältnisse forciert, in denen alles auf die Piazza drängt, um wenigstens hier die Reste der bürgerlichen Freiheit zu genießen. Man sieht sie in Berlin und in Barcelona, in Paris und in Brüssel: Ausgeschlossene des Wohlstands, die nicht davon lassen können, regelmäßig Einheiten körperlicher Selbstschädigung zu inhalieren. Während sie eben noch unterhaltsame Zeitgenossen einer parlierenden Gemeinschaft in verqualmten Sälen waren, sieht man nun bemitleidenswerte Tröpfe, die ihre Unbeherrschtheit vor die Tür getrieben hat. Dabei hat sich nur wenig verändert. Sie haben weder Haus noch Stellung, weder Frau noch Auto verloren. Die Ausgestoßenen tragen gute, für die Witterung vielleicht ein wenig zu leichte Kleidung. Es ist ein Kaschmirbibbern, das nur entfernt an die Romane von Charles Dickens erinnert. Das Geheimnis der Szene besteht darin, dass man die Raucher zuvor nicht als Exkludierte wahrgenommen hatte. Plötzlich aber sind sie sichtbar geworden |177| als welche, die nicht anders können. Zugegeben: Ihr Schicksal ist nicht wirklich tragisch. Fast immer finden sich Nichtraucher, die den Weg nach draußen vor die Tür schon aus Gründen der Geselligkeit mit antreten. Die Kneipiers haben unterdessen kleine Zelte über ihre Eingangstüren gebaut, um die Situation so angenehm wie möglich zu gestalten. Man lässt die Raucher nicht allein, auch wenn inzwischen bereits Anstrengungen unternommen werden, den Heizpilzen das Gas wegen des zu hohen CO 2 -Ausstoßes abzudrehen.
Die Szene mit Rauchern vor der Tür gibt Auskunft über die vielfältigen Beziehungen von Laster und Gesellschaft und die Folgen, die bereits kleine äußere Veränderungen auf deren Zusammenspiel haben können. Wir haben eine Vorstellung vom Laster, aber nicht immer tritt es so signifikant mit seinen vielfältigen Aspekten in Erscheinung. Wer dem kalten Rauch am Morgen danach abschwören will oder die Zahlen auf der Waage erkennen möchte, ohne dass ihm der eigene Bauch dabei im Weg ist, hat keineswegs nur mit sich selbst und den Strategien der Lastervermeidung oder -reduzierung zu tun. Wer etwas gegen seine charakterlichen Schwächen unternimmt, ist Bestandteil einer großen Volksbewegung für Disziplin und Selbstkontrolle. Der Raucher auf der Straße ist ein Beispiel für das komplexe Zusammenspiel, in dem die trennenden wie die integrativen Kräfte so genannter lasterhafter Verhaltensweisen zutage treten. Vor der Kneipentür wird ein noch nicht entschiedener Interessenkonflikt zwischen traditioneller Geselligkeit und gesundheitspolitisch Gebotenem demonstrativ dargeboten. Das Nichtraucherschutzgesetz hat die Zugehörigkeitsmodi verändert. Die Raucher müssen ihr Verhalten anpassen und sie werden anders gesehen.
Nicht immer bedarf es zur
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