Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
Vom Netzwerk:
die Eltern zum Ausdruck kommt. Spieler können nicht aufhören, bis der Verlust ihr unbewusstes Strafbedürfnis befriedigt. Die Reihe der Autoren ließe sich fortsetzen.« 38
    Während seine Kollegen Schuld und Schuldverarbeitung als oft verborgene Quellen für pathologisches Glücksspiel betrachten, erkennt der Ethnopsychologe Paul Parin ganz allgemein die Tendenz und die Neigung, das Verhältnis von Zufall und Glück zu verklären. Vor Verklärungen sind indes sich kühle Rationalität attestierende Wissenschaftler nicht gefeit. In den Wirtschaftswissenschaften musste einiger Aufwand betrieben werden, um die Sonderstellung des Glücksspiels einerseits begründen und es andererseits als Marktgeschehen beschreiben zu können. 39 In der Ökonomie wird das Glücksspiel als gewöhnliche Marktaktivität mit dem Unterschied dargestellt, dass es sich beim Spieleinsatz um eine Haushaltsentscheidung unter der Annahme von Unsicherheit handelt, während gewöhnliche Marktentscheidungen |173| unter der Annahme von Sicherheit, also eines verlässlich durchführbaren Tauschs von Geld gegen Ware, dem Vorhandensein eines berechenbaren Geldwert etc. getroffen werden. Man kauft keine Ware, sondern nur die Aussicht, weit mehr Waren kaufen zu können. Und man erwirbt die Aussicht auf die Erfahrung, den richtigen Riecher gehabt zu haben. Dabei waren die Akteure des Glücksspielmarkts stets viel berechenbarer, als solch umständliche Überlegungen vermuten lassen. Entgegen der verbreiteten Annahme eines antizyklischen Spielverhaltens, das in Krisenzeiten mehr und in prosperierenden Zeiten weniger gespielt wird, haben sich die Ausgaben für Glücksspiel über einen langen Zeitraum mit einem Nachlauf von vier bis fünf Jahren proportional verhalten zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts. Trotz allem denkbaren skurrilen Spielverhalten ist der Spieler nicht zuletzt auch ein
Homo oeconomicus
.
    Das sieht der Gesetzgeber, der über die Zulassung von Glücksspielen wacht, allerdings anders. Er betrachtet den Spieler keineswegs als selbstbewussten und abwägenden Wirtschaftsbürger. So sehr er auf die Einnahmen aus dem Glücksspiel erpicht ist, bleibt er dem Spieler gegenüber skeptisch. Das Glücksspielmonopol des Staats basiert auf der Annahme, dass schwache Bürger vor den Gefahren des Vermögensverlusts durch Spiel geschützt werden müssen. Die Beschützerrolle, in die sich der Staat trotz oder wegen postnationaler Entwicklungen immer häufiger begibt, nimmt er dabei keineswegs nach einem einheitlichen Muster wahr. Je nach Bedarf wird sie mal so oder anders begründet. So wird das seit Herbst 2007 auf Länderebene unterschiedlich durchgesetzte Rauchverbot als Nichtraucherschutzgesetz ausgeübt. Es trachtet danach, vor allem Dritte vor gesundheitlichen Schädigungen zu bewahren. Die Freiheit des Rauchers auf Selbstschädigung soll nicht zu Lasten des Nichtrauchers gehen. Im Bereich des Glücksspiels argumentiert der Gesetzgeber jedoch anders: Nichtspieler bleiben in der Regel unbehelligt von Spielern. |174| Stattdessen wird hier von einem versagenden Selbstschutz des Bürgers ausgegangen. Das Glücksspielmonopol geht aus einer paternalistischen Haltung des Staats hervor. Der Einzelne muss nachhaltig vor den Fährnissen seiner Willensschwäche bewahrt werden.
    Innerhalb der Volkswirtschaft stellen die Angebote von Glücksspielen einen Sonderfall dar. Glücksspiel ist ein demeritorisches Gut, das wie Alkohol, Tabak und Prostitution als wenig verdienstlich eingestuft und dessen Zugang eingeschränkt wird. Entscheidend für das jeweilige Angebotsprofil dieses Guts ist die rechtliche Grundlage, auf der es marktfähig werden kann. Die Geschichte des Glücksspiels wird in allen ihren Kapiteln von den Besteuerungsbemühungen sowie partiellen Prohibitionsversuchen beeinflusst. Keine Volkswirtschaft überließ und überlässt den Glücksspielmarkt einer wettbewerblichen Selbststeuerung. So ergibt sich die besondere Stellung der bundesrepublikanischen Glücksspielwirtschaft im Vergleich zu anderen Branchen aus einem allgemeinen Verbot von Glücksspielen. In Paragraph 284 StGB wird unter Strafe gestellt: »Wer ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel veranstaltet oder abhält oder die Einrichtung hierzu bereitstellt ...« Der Gesetzgeber untersagt das Glücksspiel generell, um es kontrolliert mit behördlicher Erlaubnis wieder in Aussicht zu stellen. Der staatliche Genehmigungsvorbehalt wird juristisch mit einem Schutzzweck begründet, der in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher