Mein Seelenauftrag
prüfen. Am frustrierendsten war für mich zugegebenermaßen, dass ich zwar Talent hatte, beim Wünscheln aber ebenso oft falsch- wie richtiglag. Holly versicherte mir, es mangle mir lediglich an Erfahrung.
Ich erinnere mich da vor allem an einen Tag, an dem ich mit meinen Ergebnissen komplett danebenlag. Holly lächelte leise und sagte: »Weißt du, die Leute sagen oft, um eine Sache gut zu machen, bräuchte man nur Talent. Das stimmt nicht. Talent ist nur der erste Schritt. Es gibt viele begabte Menschen, die es nicht schaffen, etwas aus ihrer Gabe zu machen. Wenn man etwas wirklich gut machen möchte, muss man sein Talent entwickeln, indem man übt und Erfahrungen sammelt. Je mehr du übst, desto treffsicherer wirst du werden. Ich mache das jetzt seit über vierzig Jahren und liege immer noch manchmal daneben.«
Dann sagte er etwas Bemerkenswertes: »Weißt du, das Wünscheln gehört zu den Dingen, die man zählen und messen kann, um die Fortschritte festzustellen – und das tust du. Du fühlst dich gut, wenn du gute Ergebnisse erzielst, und schlecht, wenn du wie heute schlechte Ergebnisse erzielst. Aber die wertvollsten Dinge im Leben lassen sich nicht messen. Wie willst du die Qualität unserer Erfahrung beim Wünschelrutengehen messen? Oder die Schönheit eines Sonnenuntergangs? Und selbst, wenn es dir irgendwie gelingen sollte, werden sich deine Messungen dann zu der Erfahrung summieren, die man beim Betrachten eines Sonnenuntergangs macht? Wenn du weniger Zeit darauf verwendest, die Dinge zu messen, und mehr darauf, sie zu würdigen, wirst du langfristig betrachtet mehr davon haben.«
Ich habe Hollys weise Worte nie vergessen, und sie fanden sehr viel später Eingang in das nächste Prinzip des Sehens mit den Augen der Seele :
Prinzip 6:
Die spirituelle Entwicklung ist kein Ereignis, sondern ein Prozess.
Ich ging nicht nur bei Holly in die Lehre, sondern las auch viele Bücher über das Wünschelrutengehen. Aus meiner Lektüre schloss ich, dass die Verwendung einer »Wünschelrute« – oder eines anderen Hilfsmittels – dem Rutengeher schlicht die Erlaubnis gab, sich einer Art sechsten Sinns oder der Intuition zu bedienen. Ich deutete Holly gegenüber an, dass sich sein Wünscheltalent nicht unbedingt auf das Finden von Wasser beschränken müsse.
Da Holly ebenso aufgeschlossen war wie ich, entwickelten wir eine Methode, um festzustellen, was einem Rasenmäher fehlte. Die Reparatur dieser Geräte war eine seiner Einkommensquellen. Ich schlug vor, dass er statt der üblichen Funktionstests versuchen sollte, den mechanischen Problemen mit dem Wünscheln auf die Spur zu kommen. Theoretisch sollte sich der Zeitaufwand dadurch erheblich reduzieren. Und verflixt noch mal, es funktionierte!
Am liebsten aber ging ich mit Holly in den Wald. Er besaß ein enormes Wissen. Er kannte sich mit Pilzen, Wurzeln und Rinden aus. Er wusste, welche Pflanzen essbar waren und welche nicht und woraus man Tee für verschiedene Zwecke zubereiten konnte. Am liebsten trank ich Kirschbaumrindentee. Dieser hatte zwar offenbar weder einen praktischen noch einen medizinischen Nutzen, aber er schmeckte mir einfach.
Als Holly innerlich soweit war, dass er mir vertraute, sagte er eines Tages: »Komm mit hinter den Wohnwagen. Ich will dir was zeigen.« Im Wald hinter dem Wohnwagen hatte er oft mit mir das Wünschelrutengehen geübt, und wir kannten inzwischen alle Wasserquellen in einem Umkreis von mehreren hundert Metern.
»Sieh her«, verkündete er und ging mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Händen los, als wolle er einen unsichtbaren Menschen umarmen. Nur seine Handflächen zeigten zum Boden. Als er an eine Stelle kam, an der sich – wie ich wusste – eine unterirdische Wasserader befand, begannen seine Hände heftig zu zittern. »Eigentlich brauche ich gar keine Wünschelrute«, gab er zu. »Aber wenn ich ohne arbeite, werden die Leute ziemlich nervös.«
•
In unserer gemeinsamen Zeit brachte Holly mir viel über das Wünschelrutengehen bei. Ich lernte, wie man ein Feld auf der Suche nach Wasser abschreiten musste, wie man sich der Stelle nähern musste, wenn man eine Grube für eine Quelle graben wollte, wie man einen Brunnen baute, in den immer neues Wasser nachlief, und wie man andere Dinge wünschelte.
Was die Kunst des Wünschelrutengehens anging, spielte sich der Lernprozess weitgehend auf der Zielachse ab. Damit hätte die Sache erledigt sein können, aber das war sie nicht. Langfristig sollten sich die
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