Mein skandaloeser Viscount
noch nie mit einem Liebhaber gedroht. Und diese Drohung nehme ich ernst.“ Er trat hinter Jonathan, ließ sich von Cornelia das Seilende geben und zog kräftig daran. „Komm! Weg von hier.“
Jonathan leistete erbittert Widerstand. Nie würde er Victoria verzeihen, ihn an diesem Duell gehindert zu haben. Niemals! Er beugte sich weit vor, grub die Fersen in die Erde, stemmte sein ganzes Gewicht gegen Giovanni, der ihn gnadenlos vom Duellplatz schleppte.
Aus den Augenwinkeln registrierte er, wie Victoria sich des viel zu großen Reitrocks entledigte und ihn zu Boden warf. Mit energischen Schritten ging sie zu der Markierung und blickte dem marchese hocherhobenen Hauptes entgegen.
Jonathans Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen. Victoria wollte das Duell nicht beenden. Sie hatte vor, selbst zu kämpfen. Um Gottes willen! Er schmiss sich mit aller Macht nach vorne. „Was hast du vor?“ , schrie er aus Leibeskräften. „Victoria!“ Seine Stimme überschlug sich.
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu, aus der Entfernung konnte er ihr Gesicht nur schemenhaft erkennen. „Das ist mein Duell, Jonathan!“, schrie sie zurück. „Nicht das deine! Was immer auch geschieht, ich liebe dich!“
Er röchelte vor Grauen. Gütiger Gott. Nein. Nein! Er schmiss sich wieder mit aller Gewalt nach vorne, riss Giovanni mit sich. „Victoria! Nein! Neiiiin!“
Giovanni packte ihn von hinten und schleuderte ihn mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Das hohe Gras versperrte Jonathan die Sicht auf das Geschehen.
„Nein!“ , brüllte er wieder und wälzte sich strampelnd von einer Seite zur anderen. „Giovanni, binde mich los!“
„Setz dich auf ihn, Liebster!“, ordnete Cornelia seelenruhig an.
Giovanni gehorchte, sein schweres Gewicht presste Jonathan die letzte Luft aus der Brust. „ Mia Cornelia. Bitte versichere Jonathan, dass Victoria nicht im Ernst vorhat …“
„Jonathan hat die Wahl“, erklärte Cornelia unerbittlich. „Er kann dieses Duell für beendet erklären oder zusehen, wie Victoria für ihn kämpft. So einfach ist das.“
In Jonathan breitete sich eine dumpfe Leere aus. Er wusste nicht einmal mehr, ob er atmete. Er wusste nur: Wenn seiner Victoria etwas zustieß, würde er sich eine Kugel durch den Kopf jagen. Denn dann würde ihr Blut an seinen Händen kleben. Er hatte sie gezwungen, nach seinen Regeln zu leben, und nun würde sie seinetwegen sterben.
Giovanni beugte sich über ihn und rüttelte ihn an den Schultern. „Ich werde dich losbinden, mein Freund. Aber ich warte immer noch auf Antwort.“
Jonathan schloss für einen Moment die Augen. Endlich hatte er begriffen, dass Ehre und Stolz ohne Victoria keine Bedeutung hatten. „Binde mich los!“, krächzte er. „Ich kämpfe nicht. Binde mich los!“
Victoria blickte dem marchese unverwandt entgegen, der in gebieterischer Haltung an seiner Markierung stand, im weißen Hemd, grauer Reithose und schwarzen hohen Stiefeln. Nun würde sie herausfinden, wer er wirklich war: eine Bestie oder ein Mann. „Ich stehe hier, um meine Ehre zu verteidigen.“
Der marchese musterte ihre schlanke Gestalt in Männerhosen. „Ich duelliere mich nicht mit einer Frau.“
„Aber Sie haben keine Skrupel, einer Frau Gewalt anzutun?“, schrie sie zurück und stellte sich breitbeinig hin. „Entweder Sie besitzen Moral oder nicht. Wie lautet Ihre Antwort?“
Der marchese kam mit langen Schritten auf sie zu, Grashalme und Wildblüten streiften seine Stiefel. Dicht vor ihr hielt er inne, sein Geruch nach Leder und Zigarren widerte sie an. „Dies ist nicht Ihr Kampf“, sagte er mit rauer Stimme.
Victoria ballte die Fäuste, um ihr Zittern zu verbergen. „Sie irren. Sie haben meine Ehre, meinen Stolz und meinen Körper angegriffen. Also ist es mein Kampf.“
Er lächelte fies, dann nickte er knapp. Nach kurzem Zögern hob er die Pistole und hielt ihr den Griff entgegen. „Bitteschön. Sie haben den ersten Schuss.“
Victoria hatte keine Ahnung von Pistolen, hatte noch nie eine Waffe in Händen gehalten, aber das war einerlei. Wichtig war nur, dass Jonathan keine Gefahr mehr drohte. Unter ihren Fingern spürte sie den glatten Pistolengriff. Die Waffe wog schwer in ihrer Hand, das schauerliche Symbol von Tod und Verderben.
Mit einem Ruck schnappte der marchese ihre Hand und richtete den Pistolenlauf gegen seine Brust. „Schieß, cara .“
Ihre zitternden Finger festigten den Griff um die Pistole. Entgeistert blickte sie den marchese an. Er
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