Mein skandaloeser Viscount
eine Dame keinerlei Anlass zu Kritik geben, die eine Auflösung der Verlobung nach sich ziehen könnte.
Wie vermeidet man einen Skandal, Autor unbekannt
J onathan atmete die rußgeschwängerte nebelige Londoner Nachtluft tief ein, um seinen inneren Aufruhr zu besänftigen.
Als er Schritte hörte, stieß er den Atem aus und drehte sich zu Victoria um, die sich eilig näherte. Ihre weißen zierlichen Seidenpumps lugten bei jedem Schritt unter dem Saum ihres Seidenkleids hervor.
Wieso musste sie, verdammt noch mal, so entzückend aussehen, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte und ihm die Knie weich wurden? Er zeigte zum offenen Wagenschlag von Graysons schwarz glänzender Karosse. „Wohin?“
„Park Lane achtundzwanzig.“ Sie zog ihren Seidenschal enger um die Schultern. Die Handschuhe, die er ihr vor geraumer Weile abgestreift hatte, schien sie vergessen zu haben. „Und nehmen Sie die längste Strecke“, fügte sie hinzu. „Wir beide haben eine Menge zu besprechen, bevor Sie diese Sonderlizenz beantragen.“
Er hob eine Braue. Wollte sie in letzter Sekunde einen Rückzieher machen und ihre Zukunft aufs Spiel setzen? Er stellte sich auf die andere Seite des Wagenschlags, den der Lakai geöffnet hatte, und reichte ihr eine Hand, um ihr beim Einsteigen zu helfen.
Auf dem Trittbrett verharrte sie und blickte ihn an. „Ich muss gestehen, Sie sehen immer noch gut aus.“
Jonathan senkte das Kinn bis zur Halsbinde, hatte plötzlich das Gefühl, sie wäre die Verführerin und er der unschuldige Tugendbold. „Mit solchen Worten spielen Sie mit dem Feuer. Vorsicht, sonst verbrennen Sie sich.“
Sie hielt sich mit einer Hand am Rahmen des Wagenschlags fest, mit der anderen drückte sie seine Hand fester und beugte sich zu ihm hinab. „Das war kein Kompliment, lediglich eine Feststellung. Immerhin habe ich Sie fünf Jahre nicht gesehen.“
Jonathan festigte seinerseits den Griff um ihre schmale Hand, ihr Blick schien ihm bis in die Seele zu dringen. Obgleich ihm klar war, dass er nicht schwach werden durfte, erlag er dem Zauber ihres verführerischen Duftes. „Gestehen Sie: Captain Blauauge ist es gelungen, seine lang ersehnte Meerjungfrau endlich an Land zu ziehen.“
Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, als wäre das Gegenteil der Fall. „Mag ein Wolf den Mond noch so inbrünstig anheulen, er wird ihn nicht vom Himmel holen. Der Mond weiß, wohin er gehört, Remington. Wissen Sie das auch?“
Bravo. Ihre geistreiche Schlagfertigkeit hatte sie wenigstens nicht verloren.
Sie wandte sich ab, ihr Duft und die Wärme ihrer Hand entschwanden, als sie mit raschelnden Röcken in die Kutsche stieg.
Mit einem Zeigefinger lockerte Jonathan die Krawatte, plötzlich war ihm heiß geworden in der kühlen feuchten Nachtluft. Eine Stunde würde nicht ausreichen. Er brauchte mehr Zeit, um hinter ihre Fassade zu blicken und zu ergründen, was ihm bevorstand.
Er rief dem Kutscher zu: „Park Lane achtundzwanzig. Sorgen Sie dafür, dass die Fahrt zwei Stunden dauert. Nicht mehr. Nicht weniger.“
Der Diener verneigte sich. „Sehr wohl, Mylord.“
Jonathan stieg ein, nahm auf der Sitzbank Victoria gegenüber Platz und lehnte sich in die Polster zurück.
„Zwei Stunden?“, fragte Victoria gedehnt.
„Wünschen Sie mehr Zeit? Ich stehe Ihnen auch die ganze Nacht zur Verfügung. Ein Wort genügt.“
Sie erwiderte nichts, wandte nur den Blick ab.
Jonathan schmunzelte, während der Tritt hochgeklappt und der Wagenschlag geschlossen wurde. Nun hinderte ihn nichts mehr daran, Victoria zu berühren und zu küssen. Nichts, nur sein Stolz. Er verschränkte die Hände, um seinem Verlangen zu widerstehen, sie an sich zu ziehen und ihr zu beweisen, dass seine Kunst der Zärtlichkeit gereift war, seit sie einander zuletzt begegnet waren.
Die Karosse setzte sich in Bewegung und rollte, begleitet vom Klappern der Pferdehufe, durch die nächtlichen Straßen. Der Schein der Straßenlaternen strich durch das Wageninnere.
Victoria tätschelte lächelnd den freien Platz neben sich. „Setzen Sie sich neben mich. Wir haben allerlei zu besprechen.“
Er musterte sie. Ihre unvermutete Freundlichkeit machte ihn skeptisch. Was wollte sie von ihm? Er bezweifelte, dass sie das Gleiche im Sinn hatte wie er. „Mir ist es lieber, hier zu sitzen, um die Form zu wahren.“
Sie verdrehte die Augen. „Ich bin keine siebzehn mehr.“
„Das wollte ich auch nicht sagen.“
„Ihr Ton klang aber danach.“ Seufzend
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