Mein skandaloeser Viscount
uns zu lüften.“
Jonathan hob den Blick zu Victoria, immer noch mit gebeugtem Knie, und festigte den Griff um ihre zarte Hand, in der Hoffnung, sie würde ihm verzeihen, dass er sie damals verlassen hatte. Und es war ihm einerlei, ob Mr Parker, Lord Moreland oder die ganze Welt Zeuge seiner Schmach und seiner Enthüllungen wurden. Wichtig war einzig und allein, ihr begreiflich zu machen, wer er wirklich war und was aus ihm geworden war.
„Victoria.“ Seine Stimme klang heiser und belegt. Er räusperte sich. „Vor fünf Jahren trat ich meinen Dienst als Cavaliere Servente an, um mich von meinem Schuldenberg freikaufen zu können. Dieses Angebot wurde mir von einer venezianischen Witwe unterbreitet, die im Begriff war, sich mit einem einflussreichen Adeligen wieder zu verheiraten, der damit einverstanden war, dass sie sich einen cicisbeo nahm. Mit dem Damoklesschwert einer Gefängnisstrafe über meinem Kopf, da meine Schulden sich auf zehntausend Lire beliefen, war ich in meiner verzweifelten Lage zu allem bereit. Ich unterzeichnete einen Vertrag, in dem ich mich fünf Jahre als Kammerdiener verpflichtete.“
Beschämt sah er zu Boden, ertrug Victorias bohrenden Blick nicht länger, deren Interesse geweckt zu sein schien.
Jonathan zwang sich, mit fester Stimme fortzufahren. „Nach einigen Monaten in ihren Diensten begann die marchesa mir ihre Zuneigung zu erweisen. Ihre große Zuneigung. Cornelia und meine Stiefmutter dankten mir für luxuriöse Geschenke, die ich ihnen nie gemacht hatte, und bald wurde ich gebeten, in Abwesenheit ihres Gemahls mit der marchesa zu dinieren. Meine obligatorische Livree wurde durch modische Kleidung ersetzt. Damals vermutete ich, dies geschehe, um meiner vornehmen Herkunft Respekt zu zollen, da die Dame bislang keinerlei amouröses Interesse an mir gezeigt hatte. Doch eines Tages wurde mein Gepäck stillschweigend aus dem Dienstbotentrakt in ein Zimmer gebracht, das neben ihrem Schlafgemach lag.“
Er atmete tief und nickte, als ob er sich selbst ermuntern wollte, seinen Bericht fortzusetzen. „Ich gab ihr zu verstehen, dass ich mich unter keinen Umständen zur Unzucht verleiten lassen würde und erklärte weiterhin, dass ich meinen Dienst quittiere, sobald ihr Gemahl von seiner Reise zurückkehrte. Und ich hielt Wort. Bei seiner Ankunft überreichte ich ihm meine Kündigung zusammen mit dem Gesuch, meine Schulden wieder auf mich übertragen zu lassen. Aus Rücksicht nannte ich ihrem Gemahl keinerlei Gründe für meine Kündigung, nur mein Bedauern. Marchese Casacalenda war keineswegs erfreut. Er …“
Victoria entfuhr ein Schreckenslaut, ihre Finger krümmten sich um Jonathans Hand. „ Marchese Casacalenda ? Der Mann, der eine Kaufmannstochter geschändet hat?“
Ihr Händedruck gab Jonathan Mut. Es war keineswegs abwegig, dass Victoria mit dem Namen vertraut war nach der grausamen Vergewaltigung der Tochter eines in Venedig ansässigen britischen Kaufmanns vor etwas mehr als einem Jahr. „Ja. Wie ich sehe, haben Sie von dem Fall gehört.“
„Die Schandtat dieses Wüstlings war wochenlang in den Schlagzeilen aller Boulevardblätter Londons. Mein Vater, damals noch bei klarem Verstand, war außer sich vor Empörung, dass die österreichische Gerichtsbarkeit den Mann lediglich zu einer Geldbuße von tausend Pfund verurteilte, statt ihn ins Gefängnis zu werfen, nach allem, was er dem bedauernswerten Mädchen angetan hat. Sie war kaum fünfzehn und ist für ihr ganzes Leben gebrandmarkt.“
„Ja. Die Regierung Habsburgs ist berüchtigt dafür, ein Auge zuzudrücken bei Verbrechen von mächtigen Männern wie dem marchese .“
Sie beugte sich zu ihm und schüttelte seine Hand. „Was ist dann geschehen? Sie blieben nicht länger in seinen Diensten, nicht wahr?“
„Doch, ich blieb. Die ganzen fünf Jahre.“
„Um Himmels willen, Remington. Wie konnten Sie? Wie konnten Sie das Geld dieses Schurken annehmen und …“
„Darf ich weitersprechen, Victoria?“, unterbrach er sie aufgewühlt. „Bevor ich den Versuch machte, meinen Dienst zu kündigen, war mir nicht klar, mit welcher Sorte Mensch ich es zu tun hatte. Nachdem ich die Summe abgelehnt hatte, die er mir anbot, hielt mir der marchese eine Pistole an die Schläfe und verkündete, seine Gemahlin stelle keine großen Ansprüche, und es sei meine Pflicht als cicisbeo , ihr jeden Wunsch zu erfüllen.“
„Barmherziger Gott“, flüsterte Victoria tonlos.
Jonathan schluckte, glaubte wieder, das kalte Metall
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