Mein skandaloeser Viscount
nicht. Aber liebevoll, anschmiegsam und pflichtbewusst? Nun ja … ihm blieben ein paar Wochen, um es herauszufinden.
Mit gefurchter Stirn begann er zu lesen:
Einem Mann während der Brautwerbung oder vor dem Hochzeitstag Zärtlichkeiten oder gar Küsse zu gestatten, hieße, ihm zu viele Freiheiten einzuräumen. Eine Dame ist verpflichtet, ihrem Bräutigam einen echten Grund zu geben, sie zum Altar zu führen. Mit ihrer sittsamen Unnahbarkeit erreicht sie, dass er am Hochzeitstag glücklich lächelt.
Ein Geräusch ließ ihn das Buch zuklappen und den Blick heben.
Victoria stand in der offenen Tür der Kabine. „Was liest du da?“, fragte sie verwundert. „Ist das mein Benimmbuch?“
Er steckte das schmale Bändchen ein und zupfte verlegen sein Jackett zurecht. Es war demütigend genug, ihr gestehen zu müssen, dass er eine Hure und ‚Kammerzofe‘ gewesen war. Sie sollte nicht auch noch denken, er interessiere sich für die Lektüre von Anstandsbüchern. „Wieso sollte ich ein Buch über gutes Benehmen lesen? Es ist ein Gedichtband, weiter nichts.“ Er hüstelte. „Ist die Viertelstunde schon um?“
Sie musterte ihn. „Nein. Hast du frische Luft geschnappt?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Hast du es noch vor?“
Er stieß sich von der Wand ab. „Nein.“
Sie wies mit einem Arm zum Bett und trat beiseite. „Dann leg dich hin.“
Lieber wäre es ihm gewesen, sie an Bord gegen den Mast gelehnt im tosenden Brausen von Wind und Wellen zu nehmen. Aber das verschwieg er ihr natürlich.
Er drängte sich an ihr vorbei, setzte sich auf das Bett, entledigte sich seiner Stiefel und warf sie durch die Kabine. Dann schlüpfte er aus dem Jackett, faltete es sorgsam, um zu verhindern, dass das Büchlein herausfiel, und legte es auf den Bretterboden.
Während er seine Weste aufknöpfte, näherte Victoria sich, präsentierte ihm ihren Rücken mit den unzähligen kleinen Knöpfen ihres Reisekleides, unter denen sich ebenso viele Haken und Ösen befanden. „Hilfst du mir bitte? Ich möchte nicht in Kleidern schlafen.“
Gerade hatte er sich an dem letzten Knopf seiner Weste zu schaffen gemacht, jetzt hielt er inne. Zum Teufel, er war kein Heiliger.
Er erhob sich. „Erlaube mir, das Mädchen aus der Kabine nebenan zu holen.“
Victoria drehte sich um, ihre Röcke streiften seine Hose und bedeckten seine Füße. „Anne leidet ebenfalls an Seekrankheit und braucht Ruhe. Wir können uns doch gegenseitig beim Auskleiden helfen, ohne in Verlegenheit zu geraten, meinst du nicht?“
Er wusste nicht zu erwidern, vermochte nur daran zu denken, wohin dieses gegenseitige Entkleiden führen könnte.
Sie strich über seine Weste und öffnete den letzten Knopf. „Das hätten wir.“ Lächelnd schob sie die Hände unter seine Weste, streifte sie ihm von den Schultern und ließ sie aufs Bett fallen. „Das war einfach. Allerdings völlig neu für mich. Ich habe nie zuvor einen Mann entkleidet. Ich hoffe, du freust dich, das zu hören.“
Sein Pulsschlag beschleunigte sich, als sie an seiner spitzenbesetzten Halsbinde nestelte. Der Blick ihrer grünen Augen traf ihn, und sie lächelte wieder.
Er geriet in Atemnot, während er den Blick nicht von ihren vollen Lippen wenden konnte. Nichts auf dieser Welt könnte ihn glücklicher machen, als ihren verlockenden Mund zu küssen und ihren herrlichen Körper zu erforschen. Aber einer Sache war er sich gewiss: Er würde sich niemals mit weniger begnügen als er sich vorgenommen hatte. Nie wieder würde er die Marionette einer Frau sein. Auch nicht die ihre.
Er umfing ihre zarten Hände, die seine Krawatte lösten. „Nein. Hör auf.“
Sie sah ihn an. „Ich entkleide dich so höflich und zurückhaltend wie möglich und bitte dich, es auch für mich zu tun.“ Zögernd entzog sie ihm ihre Hände und beobachtete ihn. „Ich … ich möchte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich will dir nur behilflich sein.“
Wie konnte er ihr diese kleine Bitte abschlagen? Sie war seine Victoria. Seine schöne unschuldige Victoria.
Er ließ die Arme sinken, hob das Kinn und sagte leise: „Mach weiter.“
Scheu blickte sie zu Boden.
„Weiter“, beharrte er. „Entkleide mich, und ich entkleide dich. Wie zivilisierte Menschen, nicht wahr?“
Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte, nahm ihm die Krawatte ab, rollte sie sorgfältig zusammen und legte sie beiseite. Als sie sich ihm wieder zuwandte, betrachtete sie stirnrunzelnd seinen entblößten Hals und griff nach dem
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