Mein spanisches Dorf
1976
Liebster Sykes!
Entschuldige, daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe, aber ich bin immer so müde gewesen und so schwermütig. Ich weiß nicht, wie es mit mir weitergehen soll. Der Döberl-Dackel ist so gemein. Ich habe ihm ja nie etwas getan. Aber wenn ich hinunterlaufe und mein Lackerl mache, kommt er gleich und verjagt mich. Vor einigen Tagen war es ganz furchtbar. Ich hab mein Lackerl gemacht, auf einmal steht er da, und die Haustür war nicht offen, und in der Aufregung hab ich die Klinke nicht herunterdrücken können, weil mir ja die rechte Hand noch so wehtut unter dem Verband. Ich bin nämlich in einen Nagel gestiegen. Der Döberl-Dackel ist immer näher gekommen, da bin ich hinunter zum Weinzierl-Haus geflüchtet und hab mich im Tor versteckt. Gott sei Dank hat die Frau Döberl ihren Dackel dann geholt. Jetzt ist Föhn. Ich bin sehr traurig und rieche dich noch überall. Du, der Hund vom Wagner fragt immer nach Dir, wenn ich mit der Großmutter hinter die Brauerei gehe. Soll ich ihm sagen, daß Du in Kanada bist? Ich weiß nicht, ob es Dir recht ist.
Viele, viele Bussi von Deinem
Fausti!!!
Nacawick, 8. August
Dear Fowst,
sorry I didn’t write. Hab so much to do! Drei Rüden und etliche Katzen in der Nachbarsiedlung. Weiß schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Nächste Woche Prozeß. Habe einen guten Anwalt, zum Glück. Leider Deinen Brief verloren, weiß nicht mehr, was du gefragt hast. Please write, regards,
Sykes
Bei Dr. Cermak, Tel. 3288 Mittwoch
Sykes, Du mußt kommen, sie wollen mich einschläfern! Die Großmutter hat es mir gesagt. Alle schreien und streiten! Bitte komme, ich weiß nicht mehr, auf wen ich mich noch verlassen kann! Ich hab Angst!
F.
Nacawick, 3rd of Sept 1976
My dear Fowst,
I’m awfully sorry, but I just can’t do anything at the moment. Have got two trials with a couple of newcomers – labradors – imagine! Take it easy. You’ve been a true friend.
Sykes
Ein ganz anderer Brief
Graz, am 18. Januar 1978
Sehr geehrte Frau Dr. Cermak!
Mein Name wird Ihnen vielleicht nicht mehr im Gedächtnis sein, und doch fühle ich mich gedrängt, Ihnen zu schreiben, denn es ist so viel Unausgesprochenes zwischen uns, und unsere Leben waren vor etwa vierzig Jahren so nahe dran, sich zu kreuzen, sich zu vereinen vielleicht sogar, kurz, ich erlaube mir diesen Brief, nachdem es längst zu spät ist.
Wenn ich auf meine letzten Jahrzehnte zurückblicke, so könnte ich mich buchstäblich in den H. beißen, verehrteste Frau Doktor. Aber was weiß man, wenn man jung und unerfahren ist.
Damals, als Sie den Schuhabstreifer bei mir im Hofe ausklopften, da stand mein Sinn nur nach Reinhaltung meines Geschäftsgebäudes, und ich war noch blind für das Ideale in dieser Welt. Ich hätte nichts sagen sollen. Oder vielmehr, ich hätte sagen sollen: Fräulein, kommen Sie mit mir auf einen Kaffee. Das wäre es gewesen, und da hätte sich mein ganzes Leben zum Guten gewendet. Und was sagte ich statt dessen? Da dürfen Sie das nicht ausklopfen, habe ich Ihnen gesagt.
Dann heiratete ich, und das Unglück war doppelt, denn wie Sie sich jetzt schon erinnern werden, war es eine Doppelhochzeit. Weder ich noch meinem Bruder, keinem von uns war das Eheglück vorausbestimmt. Wir haben nicht die richtige Frau gefunden. Schnell und ungestüm ist die Jugend, und oft wählt man falsch, weil man in der Eile ist. Wir waren in der Eile, weil in beiden Fällen schon etwas unterwegs war.
Denn damals waren wir noch keine Idealisten.
Die Zeiten haben sich geändert, hier in Graz wie überall. Mein Geschäft blüht nicht mehr wie früher, die Umsätze sind permanent im Sinken, und nun will ich Ihnen auch sagen, was mich bewogen hat, Ihnen zu schreiben.
Verehrteste! Vor einigen Tagen besuchte mich eine Frau Elisabeth Hofmann. Wir kamen beim Geschäftshandel (sie besorgte sich zwecks Reparatur ihres Gartenhäuschens eine Beißzange) ins Plaudern, und von ihr erfuhr ich, daß Sie, meine Gnädigste, mich einst als junges Mädchen geliebt haben und sich anläßlich unserer Doppelhochzeit vom Kirchenchor zu stürzen gedachten.
Schauen Sie, hochverehrte Frau Doktor, ich bin heute knapp dreiundsiebzig. Und schwer leidend. Meine Frau ist vor vier Jahren für immer von mir gegangen. Meine Kinder hat mir das Fernweh entzogen. Auch mein seliger Bruder erreichte nur das Alter von neunundsechzig. Seine Frau folgte ihm kurz danach.
Weitere Kostenlose Bücher