Mein spanisches Dorf
Gelegenheit. Vielleicht auch zum Reiten. Und dein geliebtes Segelfliegen! Und ein Katzensprung zum Gardasee! Oder München. Salzburg! Salzburg wäre sowieso immer mein Traum gewesen. Salzburg, Rio de Janeiro und Neapel, die drei schönsten Städte der Welt, laut Goethe. Und überhaupt kulturell! Vom Brucknerhaus in Linz haben wir uns ja auch, offen gestanden, ein bisserl mehr erwartet. Salzburg war eigentlich immer meine heimliche Sehnsucht. Und wenn ich in Linz ein wirklich fesches Trachtendirndl erwisch, kommt es mit tödlicher Sicherheit aus Salzburg. Nur, in Salzburg kennt auch jeder jeden, habe ich mir von der Cermak sagen lassen, ab einem bestimmten Niveau, wenn man in unsere Kreise gehört, zum Beispiel, da fängt es schon an. Aber mir geht es ja auch gar nicht um Salzburg. Es geht einfach darum, daß man vielleicht doch eines Tages seinen Mut zusammennimmt und wegzieht von hier. Vielleicht, wenn der Leopold in Pension ist. Und dort, wo ein neuer Anfang möglich ist, läßt man sich nieder. Finanziell wäre es ohne weiteres drin. Und jung genug sind wir auch. Für ein Leben mehr im Ländlichen, wo man ein Haus allein hat für sich, irgendwo auf einem Hügel, mit einer schönen Aussicht, ist man nie zu alt. Und der Leopold ist vital, klopf aufs Holz! Nein, nein, bei uns ist noch alles drin. Aber hier bleiben für immer und ewig? Wo steht es, bitte, geschrieben, daß man nicht auch in einem Reifestadium, wie wir jetzt uns befinden, von einer Stadt in eine andere in einem anderen Bundesland oder ganz ins Ländliche ziehen darf? So ein guter Arzt, wie der Leopold ist, findet er überall Patienten. Wollen wir vielleicht am Ende noch auf unserm schönen Friedhof da begraben sein, wo sie eh den letzten Baum weggerissen haben und man nicht weiß, warum, und es nur eine Erklärung gibt, nämlich, daß sie zu blöd sind, einen ordentlichen Gärtner zu finden, der diesen Friedhof, der einmal so herrlich bewachsen war, in seiner Herrlichkeit gepflegt hätte. Auf diesem Friedhof möchte ich einst nicht liegen, hab ich dem Leopold gesagt. Und nicht nur die Beamten sind blöd, sondern allgemein der ganze Pöbel. Misera plebs, wie der Leopold manchmal selber sagt. Und er versteht, warum sich die Ritter früher die Burgen hoch hinauf gebaut haben. Ein Schloß in Tirol! Vielleicht finden wir etwas Kleines! Oder kann auch Kärnten sein. Oder sonst halt ein Haus. Nur: weg von da, wo man sich dauernd beobachtet fühlt und man dauernd gezwungen ist, Rücksicht zu nehmen, damit nur ja niemand redet oder sich vor den Kopf gestoßen fühlt. Von so einem Leben hat man ja nichts. Die paar Stunden, die der Leopold auf seinem Hochstand verbringt oder am Fischwasser … Das und die gute Lektüre, das sind seine einzigen Freuden. Und unsere Hoffnung auf den Poldi. Aber dann ist es auch schon vorbei. Und was uns noch bevorsteht, weiß er gar nicht! So leid, wie dieser Mensch mir tut! Jeden Tag seit vorigem Mittwoch, wenn wir beim Frühstück sitzen, denk ich mir: Jetzt! Aber dann seh ich, wie er seinen Tee genießt und sagt: Nichts geht über Twinings! Da bring ich es einfach nicht übers Herz, und er muß mir gestern schon etwas angemerkt haben, weil er fragt, ob es Neuigkeiten gibt von der Gisi. Schaut mich aber Gott sei Dank nicht an, wie er das fragt. Wenn er seinen Tee trinkt, ist er immer mehr in sich gekehrt. Nein, nein, sag ich, gar nichts. Wir dürfen nur hoffen, sagt er noch, daß sie inzwischen begriffen hat, worauf es im Leben ankommt. Ja, ja, sag ich, der letzte Brief war ja ziemlich positiv. Wo doch heut ein jeder Trottel schon die Matura hat, sagt er. Sicher, sag ich. Und gekostet hat uns dieses Internat ja wohl schon genug! Ja, sag ich, da werden sie den Lateinprofessor schon bewegen, daß er ein Auge zudrückt, und den in Mathematik auch. Wo Mathematik und Latein ja sicher nicht ausschlaggebend sein werden für unsere Gisi, sage ich. Aber Matura, sagt er, Matura braucht eine Frau heute. Und um so mehr, wenn sie dumm ist! Eine Frau ohne Matura, sagt er … Bitte, fang nicht wieder an, sag ich, sonst belege ich einen Fernkurs, aber dann nimm dir auch bitte eine Wirtschafterin! Eine Wirtschafterin können wir uns nicht leisten, sagt er, solange unsere Tochter von einer Schule in die andere geschickt werden muß. Mein Gott, denk ich mir da, wie sag ich es dir nur!? Und weil ich mich so gut in ihn hineindenken kann, tut er mir wieder so wahnsinnig leid.
Man nimmt alles viel zu tragisch. Wenn sich später der Sturm gelegt hat,
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