Mein Tag ist deine Nacht
umklammert hatte, als er mich während unseres erhitzten Streits in der Garage geschüttelt hatte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er so fest zugepackt hatte.
Zurück im Schlafzimmer, besah ich mir die Prellungen im Frisiertischspiegel genauer. Auf jeder Seite befand sich ein kleiner blauer Kreis, wo sich Grants Daumen in mein Fleisch gegraben hatten. Nachdem ich Laurens Ankleidezimmer durchstöbert hatte, zog ich statt der Freizeithose und des Twinsets, in das ich zuvor geschlüpft war, einen schicken Designerrock, eine Bluse und einen Blazer an und betrachtete mich dann kritisch im Spiegel. Das angesengte Haar war kaum zu sehen, doch nahe an der Kopfhaut wuchsen langsam Laurens blondierte Strähnen heraus, und es war ein dunkler Schatten zu sehen. Ich fuhr mit dem Finger den Mittelscheitel entlang und fragte mich, wie oft sich Lauren den Haaransatz nachfärben ließ.
Da schoss mir ein weiterer Gedanke durch den Kopf. Karens Haare waren braun, nicht blond wie die ihrer Schwester. War Lauren womöglich gar nicht blond? Der Gedanke begeisterte mich. Ich hatte mich noch nicht sonderlich an meine neue Haarfarbe gewöhnt, und wenn Lauren gar keine echte Blondine war, dann konnte ich den Braunton nachwachsen lassen und mich mehr wie mein wahres Ich fühlen.
In Gedanken noch immer mit meinen Haaren beschäftigt, ging ich ins Ankleidezimmer und öffnete Laurens Schreibtisch. In einer Schublade befand sich ein Stapel Hochglanzmagazine, ich blätterte darin herum und überlegte, wie ich das Haar tragen sollte, wenn es erst mal wieder seine natürliche Farbe hatte.
»Bist du fertig, Lauren? Wir müssen los!«, rief Grant von unten.
Schuldbewusst zuckte ich zusammen. Nicht nur hatte ich Karen erlaubt, das Essen vorzubereiten, ich hatte auch versäumt zu prüfen, ob die Kinder ordentlich aussahen, genug gefrühstückt hatten und auf die Toilette gegangen waren. Vielleicht hielt Grant Lauren nicht für sonderlich mütterlich, aber normalerweise musste sie wesentlich mehr leisten, als ich es nun an ihrer Stelle tat. Wäre Karen nicht zu Besuch gekommen, hätten die Kinder die ganze Woche kein einziges Mal rechtzeitig ihr Frühstück bekommen, dachte ich, und mich beschlichen leichte Minderwertigkeitsgefühle.
Ich wollte die Zeitschriften gerade hastig zurück in die Schublade stopfen, als aus einer ein Brief herausfiel und auf den Boden flatterte.
Beim Aufheben fiel mein Blick auf den Briefkopf, und mir stockte der Atem. Als ich die Zeilen überflog, verspürte ich eine Mischung aus Wut und Angst.
Der Brief stammte von einem Heim für behinderte Kinder in Kent. Darin wurde Mrs.Richardson zu einer formlosen Besichtigung ihrer Einrichtungen eingeladen zu dem Zwecke, ihren Sohn Edward in deren Obhut zu geben.
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14
I n der Kirche war es ein paar Grad wärmer als in der, in die man mich als Kind geschleppt hatte. Und darin wirkte auch kein biederer, von sich selbst eingenommener Pfarrer, sondern eine Pfarrerin in den Dreißigern, die einen freundlichen und umgänglichen Eindruck machte. Der Gottesdienst war auf Familien zugeschnitten, und die Kinder saßen ruhig auf den langen Holzbänken. Nur Teddy wanderte im Gang entlang, ohne dass es jemanden zu stören schien.
Grant, der seinen Sohn eine Weile auf dem Schoß sitzen gehabt hatte, flüsterte mir zu, dass Teddy das immer machte. Wenn wir versuchten, ihn davon abzuhalten, würde er zu schreien und kreischen beginnen und sich auf den Boden werfen. Diese Seite unseres Kindes musste ich erst noch kennenlernen, obwohl die Nacht, in der er seinen Alptraum gehabt hatte, mir schon eine recht gute Ahnung davon gegeben hatte.
An einem Punkt im Gottesdienst wurde der Gemeinde die Gelegenheit gegeben, im Stillen zu beten, und ich kniete mich auf die harte niedrige Bank vor mir, kniff die Augen zusammen und ließ meine Gedanken wandern. In diesem Augenblick der Besinnung, ertappte ich mich bei der Frage, ob die Allmächtigen des Universums fanden, dass ich meinen Job als Lauren gut machte. Überrascht stellte ich fest, während ich an diesem Ort saß, dass mir sehr daran lag, dass dem so war.
»Ich wünschte, ihr würdet mir ein Zeichen geben, dass ich das Richtige tue«, betete ich verträumt. »Das Ganze muss doch einen Sinn haben, oder?«
Eine warme Hand berührte meinen Arm, und als ich die Augen aufschlug, lächelte Teddy mich an. Da ich kniete, befanden wir uns auf gleicher Augenhöhe, und so konnte ich tief in seine meeresgrünen Augen blicken. Sophie und Toby hatten
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