Mein Tag ist deine Nacht
Lauren?«
»Ist Ihnen denn nie in den Sinn gekommen, sie könnte nicht imstande sein, für sie zu sorgen?«, fuhr ich aufgebracht fort. »Dass ihre ganze Familie unter der Entscheidung, die Sie ihr aufgedrängt hatten, leiden müsste? Sie hatte ein Recht, selbst eine Entscheidung zu treffen, ohne dass jemand, der vorgibt, er wisse, was Gott mit ihr im Sinn hat, sie tyrannisiert und ihr droht. Wer hat Ihnen das Recht gegeben, sich als ihre Richterin aufzuspielen?«
»Lauren!«
Grant war herbeigeeilt, nahm mir die Untertasse aus der Hand und wollte mich fortziehen. Sein normalerweise blasses Gesicht war von Schamröte überzogen, und ich merkte, dass uns alle Leute im Saal nach wie vor mit großer Aufmerksamkeit beobachteten.
»Ich habe Ihnen geholfen«, fauchte die Frau unvermittelt. »Ihre Seele war in Gefahr, und ich habe Sie gerettet!«
Grant winkte die Kinder herbei und drängte mich zur Tür. »Dora, Lauren ist noch nicht wieder auf der Höhe. Sie hat ihre Erinnerung verloren, und das hier ist nicht gerade hilfreich«, sagte er so ruhig er konnte.
»Der Teufel steckt in ihr«, murmelte die alte Frau boshaft.
»Und Sie sind befähigt, das zu erkennen, ja?«, gab ich zurück. »Sie glauben wohl, Sie hätten einen direkten Draht zu Gott oder wie?«
»Ich erkenne das Böse, wenn ich es vor mir habe!«
»Verständlich, Sie müssen es sich ja auch allmorgendlich im Spiegel betrachten!«
»Lauren!«, zischte Grant. »Hör auf. Kommt, Kinder, wir gehen.«
Ich drehte mich um und ließ mich von Grant zur Tür hinausdrängen, die Kinder folgten mit verstörten Mienen. Sobald wir um die Ecke des Gemeindesaals gebogen waren, brach Grant in wieherndes Gelächter aus. Ich sah ihn misstrauisch an, und meine Hände zitterten, als ich stehen blieb und mich zu ihm drehte.
»Wie kannst du da lachen?«
»Das ist das Lustigste, was ich seit Jahren erlebt habe«, japste er. »Jeden Sonntag kommst du wütend und aufgebracht nach Hause, nachdem Dora dich bearbeitet hat, und nun hast du diese entsetzliche alte Schrulle endlich in ihre Schranken verwiesen!«
»Noch mal können wir uns da nicht blicken lassen«, sagte ich, während wir zum Auto gingen, und fühlte mich plötzlich ganz schwach. »Das würde ich nicht überleben!«
»Die meisten Gemeindemitglieder sehnen sich schon seit Jahren danach, endlich den Mut zu haben, ihr zu sagen, wo’s langgeht.« Er schloss den Wagen auf. »Jedem erklärt sie, was er zu tun und zu lassen hat, erschreckt die Kinder mit ihren Feuer-und-Schwefel-Geschichten. Du wirst als Heldin gefeiert, Lauren. Wirst schon sehen!«
Auf dem Heimweg saß ich schweigend im Auto und fragte mich, welchen Schaden mein Ausbruch bei den Kindern angerichtet haben könnte. Ich wusste, ich hatte auf Doras Kritik reichlich hitzköpfig reagiert, aber ich fand, jeder hatte das Recht auf eigene Entscheidungen, ohne von Bibelfanatikern eins aufs Dach zu kriegen, die sich gar nicht die Mühe machten, die Schwächen anderer zu verstehen.
Ich starrte aus dem Fenster auf die vorbeigleitende Landschaft und versuchte, meinen Ausbruch zu rechtfertigen. So allmählich ging mir auf, dass es die unterschiedlichsten Lebensverhältnisse gab. Nachdem ich Laurens Leben mittlerweile eine ganze Woche geführt hatte, begriff ich, dass jeder Elternteil andere Fähigkeiten besaß. Keinen Augenblick wollte ich Lauren dafür verurteilen, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch erwogen oder eine Affäre gehabt hatte, ja, selbst dafür nicht, dass sie mit dem Gedanken gespielt hatte, Teddy in ein Pflegeheim zu geben, nur weil ich selbst so etwas nie in Betracht gezogen hätte. Die Macht, die das Universum regierte, mochte eines Tages ein Urteil darüber fällen, meine Aufgabe war es allerdings bestimmt nicht, und Doras erst recht nicht.
Zu Hause angekommen, stürmten die Kinder aus dem Wagen und plapperten nun, da die Anspannung nachgelassen hatte, aufgeregt darauflos. Wütend auf mich selbst wegen meines mangelnden Beherrschungsvermögens, folgte ich ihnen langsamer nach.
Der köstliche Geruch von Schweinebraten erfüllte die Luft, und ich schnupperte anerkennend. Scheinbar hatte Karen mich bemerkenswert gut vertreten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich alles hinbekommen sollte, wenn sie wieder heimfuhr. Die Küche war ein Durcheinander aus Pfannen und Kartoffelschalen, die Spüle war voll mit Gemüse, und die Arbeitsfläche, an der sie gerade zugange war, um Teig für eine Apfelpastete herzustellen, war mit Mehl bestäubt. Karen blickte
Weitere Kostenlose Bücher