Mein Tag ist deine Nacht
diese faszinierenden grüngrauen Augen ebenfalls von ihrem Vater geerbt, dazu ähnlich rötlich braunes Haar. Nur Nicole besaß die blauen Augen und das mausbraune Haar der Mutter, das ich unter meinen blondierten Locken vermutete.
Ich erwiderte Teddys Lächeln und lugte dann durch meine gefalteten Fingerspitzen zu den restlichen Gemeindemitgliedern, die mit geschlossenen Augen stumm mit Gott zu sprechen schienen. Ich kam mir wie eine Außenseiterin vor und richtete meinen Blick wieder auf Teddy, der neben mich gerutscht war und seinen Kopf auf meine Schulter gelegt hatte.
Aus einem Impuls heraus küsste ich ihn auf sein karottenfarbig gelocktes Haupt und schickte ein stummes »Danke« gen Himmel. Es sah aus, als habe Teddy mich als die akzeptiert, die ich war, wenngleich er zu wissen schien, dass ich nicht seine Mutter war. Mehr als das konnte ich als Antwort von »oben« vernünftigerweise wohl kaum erwarten. Immerhin, sagte ich mir und gluckste in mich hinein, konnte man nicht erwarten, dass »Er« täglich einen Blitz sandte.
Als das Gebet vorüber war, glitt ich wieder auf die harte Sitzbank. Teddy kletterte auf meinen Schoß und saß, den Ball an sich gedrückt, ruhig da. Ich dachte an den Brief in Laurens Schreibtisch und schwor, dass ich dergleichen nie zulassen würde. Teddy käme in kein Pflegeheim, da würde ich schon aufpassen.
Nach dem Gottesdienst strömten wir in den neuerbauten Gemeindesaal aus rotem Ziegel. Die Architekten waren offensichtlich dazu angehalten worden, ihn passend zur Kirche selbst, einer riesigen viktorianischen Monstrosität, zu gestalten, doch innen war der Saal luftig und geräumig. Eine Durchreiche führte in eine kleine Küche, wo zwei Frauen mittleren Alters auf Tabletts Kaffee und Orangenlimonade anboten.
»Kann ich einen Keks haben, Mami?«, fragte Toby und beäugte die Auswahl auf dem Teller.
»Nur einen, sonst verdirbst du dir den Appetit fürs Mittagessen.«
Ich bemerkte, wie Sophie sich unauffällig gleich zwei Kekse stibitzte, und Nicole, die ihre ältere Schwester beobachtet hatte, es ihr gleichtat. Ich wollte schon etwas sagen, fand dann aber, ein weiterer Keks würde keine Rolle spielen. Sie hatten mich nichts zu Toby sagen hören, insofern musste ich jetzt kein Prinzip durchsetzen. Ich nahm noch einen Keks für Teddy vom Teller und erklärte ihm, den bekomme er, weil er so artig gewesen sei, und beobachtete dann, wie er seinen Schwestern an den Spieltisch hinterherrannte.
Ich ließ meinen Blick über die Schar schick gekleideter Kirchgänger schweifen, entdeckte Teddy in der Nähe der Tür und bahnte mir, um Verzeihung bittend, an Ellbogen und Kaffeetassen vorbei einen Weg zu ihm hin.
»Möchtest du einen Keks?« Ich hielt ihm einen mit Vanillefüllung hin.
Er schüttelte den Kopf. »Dann habe ich keinen Hunger mehr.«
»Ich glaube nicht, dass ein oder zwei Kekse etwas ausmachen, bis zum Essen sind es ja noch ein paar Stunden hin.«
Er zupfte an meinem Rock, und ich kauerte mich neben ihn, so dass wir uns wieder auf derselben Augenhöhe befanden.
»Andere Mami lässt mich nicht«, flüsterte er verschwörerisch.
»Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hätte, wenn du einen essen würdest«, flüsterte ich zurück. »Aber danke, dass du’s mir sagst, Teddy.«
Er nahm den Keks, und ich seufzte angesichts der Erkenntnis, dass er mich zwar nun mochte und als die akzeptierte, die ich war, sich jedoch gegenüber seiner echten Mutter noch immer loyal verhielt, und genauso sollte es natürlich auch sein. Lauren hatte die Kinder auf eine bestimmte Weise erzogen, und wie ich in einer Unterhaltung mit Karen ein paar Tage zuvor begriffen hatte, musste Teddy davon ausgehen, dass ich Laurens Art, die Dinge zu tun, nicht guthieß, wenn ich zu vieles anders anging. Bei den anderen Kindern war es egal, wenn ich von der Art der Mutter abwich – sie dachten, ihre Mutter hätte das Gedächtnis verloren und würde die Veränderungen selbst vornehmen. Ich mahnte mich, im Umgang mit Teddy vorsichtiger zu sein.
Ich richtete mich auf und dachte immer noch darüber nach, als ich mich zurück zur Durchreiche schlängelte, wo man mir eine Tasse Kaffee reichte. Diese Elterngeschichte war komplizierter als noch vor einer Woche vermutet, dachte ich, und nahm einen Schluck von der warmen, bitteren Flüssigkeit. Man benötigte Takt, diplomatisches Geschick, ein hohes Maß an Organisationstalent und haufenweise Geduld. Egal, welche Entscheidungen Lauren in den Wochen oder Monaten
Weitere Kostenlose Bücher