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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rose
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leiden, könnten wir für Sie einen ambulanten Termin in unserer psychiatrischen Abteilung vereinbaren. Ich schlage vor, unterdessen ruhen Sie sich aus. Ich bin mir sicher, Sie werden nicht mehr allzu viel zur Ruhe kommen, wenn Sie erst mal wieder in Ihren vier Wänden sind.«
    An diesem Abend kam mich Grant besuchen. Er entschuldigte die Kinder, die nach dem Ausflug zu erschöpft seien. Er habe sie frühzeitig zu Bett gebracht und eine Nachbarin gebeten, ein, zwei Stunden auf sie aufzupassen.
    »Wie kommt Teddy damit klar?«, fragte ich, teils, um Interesse am Wohlbefinden seiner Kinder zu zeigen, und teils, weil mich Teddys Situation sehr berührte, auch wenn ich das alles nach wie vor für ein Hirngespinst hielt.
    Grant zuckte die Achseln. »Ganz offensichtlich ist er durcheinander. Er versteht nicht, was gerade passiert, Lauren. Er ruft immer noch nach seiner Mami.«
    Ich mied seinen Blick und dachte mir im Stillen, dass Teddy einen besseren Einblick in die Situation hatte als der Rest.
    »Hat man dir gesagt, wann du nach Hause darfst?«
    »Morgen vielleicht«, erwiderte ich und bemühte mich, den Gedanken an diese grässliche Möglichkeit schnellstmöglich wieder zu verdrängen.
    Nach Hause. Ein weiterer Schritt ins Dunkle. Ein Ort, wo, sofern ich nicht bald als Jessica erwachte, von mir erwartet würde, eine Rolle zu spielen, die ich nur im Rateverfahren ausüben konnte; ein Leben zu führen, das einfach nicht meines war. Nach Hause wollte ich durchaus, aber ich wollte mit meinem eigenen Leben fortfahren, die Gewalt über mein eigenes Schicksal haben. Ich musste an die Bemerkung meiner Mutter denken, ich solle nicht versuchen, Superwoman zu sein, und kämpfte verbissen gegen Tränen an. Ich hatte immer auf eigenen Füßen stehen wollen – hatte einen ausgesprochenen Unabhängigkeitsdrang und war entschlossen, die Dinge nach meiner Fasson zu bewältigen. Vielleicht war mein Leben nicht vollkommen gewesen, aber es hatte mir gehört. Und nun entdeckte ich, dass ich nichts mehr unter Kontrolle hatte. Ich wurde mitgerissen; ein Fahrgast auf einer Achterbahnfahrt, die furchterregender war als alles, was die Kinder in Chessington möglicherweise erlebt hatten.
    Ich gähnte herzhaft und hielt mir erst im letzten Augenblick die Hand vor den Mund. Schlaf war’s, was ich jetzt brauchte, und was, so hoffte ich, der Schlüssel zur Tür zwischen den beiden Welten war.
    Grant verstand den Wink. Er sah selbst sehr müde aus, als er mich sachte auf die Stirn küsste, ehe er zur Tür steuerte.
    »Gute Nacht, Schatz«, flüsterte er, bevor er die Tür hinter sich schloss. »Morgen komme ich wieder.«
    »Gute Nacht, Grant.« Ich sank ins Kissen zurück und hoffte inbrünstig, dass das das Letzte gewesen war, das ich je von ihm zu Gesicht bekam.

[home]
    4
    A ls ich eingekuschelt in der Daunendecke in meinem eigenen Bett aufwachte, empfand ich unbeschreibliche Erleichterung. Ich war immer noch nicht davon überzeugt, dass meine Erlebnisse als Lauren einfach ein normaler Traum waren, dafür gab es zu viele Außergewöhnlichkeiten, zu viele unbeantwortete Fragen, doch nun war ich wach. Ich war wieder Jessica, und ich schwelgte in dem Wissen, dass ich zu Hause und sicher in meiner eigenen Welt war.
    Ich drückte Frankie fest an mich. »Du wirst mir nie glauben, wo ich war«, erklärte ich ihr, schlüpfte aus dem Bett und tapste barfuß zum Fenster. Ich zog die Vorhänge für einen weiteren herrlichen Herbsttag auf. »Was würdest du sagen, wenn ich dir erzählte, dass ich die ganze Nacht über jemand anderes war, während du hier gelegen und mir die Füße gewärmt hast?«
    Frankie legte den Kopf schief und bellte kurz auf.
    Ich ließ heißes Wasser in die Badewanne ein und gab Frankie währenddessen ein Frühstück aus Trockenfutter, stellte Wasser für meinen Morgentee auf und ging im Schlafanzug zur Haustür, um nach Post zu sehen.
    Nichts außer Wurfsendungen. Eigentlich hätte es traurig sein müssen, dass mir so wenige Leute schrieben. Die einzige Post, die ich normalerweise regelmäßig erhielt, steckte in braunen Umschlägen, dazu ab und zu mal ein Luftpostbrief von meinem Bruder Simon. Doch das lag wohl daran, dass ich, wie manche es ausgedrückt hätten, zum Einzelgängertum neigte. Ich ging die Wurfsendungen durch und grinste dabei in mich hinein. Ich beschrieb mich lieber als selbständig, arbeitsorientiert und vielleicht ein wenig bindungsscheu.
    Aber wie auch immer, heute war mir das egal. Es zählte nur, dass ich

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