Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rose
Vom Netzwerk:
Vorstellung, in der gegenwärtigen Situation mit jemandem eine neue Beziehung einzugehen, war absolut abschreckend.
    Ich beschattete meine Augen mit der Hand, blickte auf Teddys zerzausten Kopf hinab, dann nach hinten zum Spielplatz und hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Die Kinder liebten ihre Mutter so leidenschaftlich, so bedingungslos. Wie musste es sein, so zu lieben und geliebt zu werden? Mir wurde plötzlich klar, dass ich Lauren um diese Freude beneidete, und der Gedanke, dass Karen mir dieses Geschenk wegnehmen könnte, machte mich unerklärlicherweise traurig.
    »Was wirst du tun«, fragte ich nervös. »Wirst du es allen erzählen?«
    »Ja, klar! Das würde sich gut auf meinem Lebenslauf machen«, murmelte sie. »Miss Harper, Alter: dreißig. Eingewiesen, da sie glaubt, der tote Körper ihrer Schwester würde von einer anderen Seele besessen. Ich seh’s förmlich vor mir.« Sie wandte sich zu mir, ein schwaches Lächeln im Gesicht.
    »Du glaubst mir also?«
    »Sagen wir’s so, ich glaube, dass
du
es glaubst, und deshalb spiele ich mit. Einstweilen.«
    »Ich möchte, dass du weiter meine Schwester bist«, erklärte ich ihr in ernstem Ton, unheimlich erleichtert, dass sie zumindest weiterhin für alles offen war. »Ich habe nie eine Schwester gehabt, und ich mag dich wirklich. Die Kinder mag ich auch«, setzte ich hinzu und blickte auf Teddy hinab, der ein Schaf anstarrte, das an den Zaun gekommen war, um gefüttert zu werden.
    »Trotzdem ist das alles verdammt sonderbar.« Karen reichte Teddy eine Tüte Tierfutter.
    »Ich habe es zuerst ja selbst nicht glauben wollen«, sagte ich ihr. »Aber hier bin ich.«
    Ich beobachtete, wie das Schaf durch den Zaundraht nach der Tüte schnappte, und Teddy sie erschreckt fortzog. Karen bückte sich, um das verschüttete Futter aufzusammeln.
    »Hast du jemals einen Traum gehabt, der so real gewirkt hat, dass du beim Aufwachen nicht glauben konntest, dass das dein echtes Leben sei?«, fragte ich, als sie sich wieder aufrichtete. »Für mich ist es seit Samstag jeden Tag so. Jedes Mal, wenn Jessica einschläft, wache ich als Lauren auf. Wenn Laurens Körper Ruhe braucht, kehre ich in Jessicas Dasein zurück.«
    »Mein lieber Schwan.«
    »Ich will noch mal schaukeln«, verkündete Teddy.
    »Okay, dann lass uns zum Spielplatz zurückgehen.«
    Wir schlenderten zu Toby zurück, der auf einem alten Traktor saß. Die Mädchen waren in den Spieltunnel verschwunden. Teddy stopfte sich seinen Ball unter sein Sweatshirt, so dass er die Hände zum Festhalten frei hatte, und zog sich auf die einzige freie Schaukel.
    »Teddy, du magst die Schaukel, stimmt’s?« Ich schubste ihn an. »Ich habe gerade zu Tante Karen gesagt, dass wir eine im Garten haben sollten. Dann kannst du schaukeln, wenn Toby in der Sandkiste spielt. Würde dir das gefallen?«
    Er nickte feierlich. »Aber Mami wird’s nicht erlauben«, sagte er in bedächtigem, schwerfälligem Ton. »Sie wird dich zwingen, sie wieder wegzubringen.«
    »Wie meinst du das, Teddy?«, fragte Karen rasch. »Wenn Mami sagt, du kannst eine haben, dann wird sie sie doch nicht wieder fortschaffen?«
    »Nicht diese Mami«, versetzte Teddy und drehte sich so auf dem Sitz, dass er mich ansehen konnte. »Die andere Mami wird sie fortschaffen, wenn sie wiederkommt.«
    Karen schwieg, und ich stieß Teddy wieder auf der Schaukel an. Ich wusste nicht, was Karen durch den Kopf ging, aber ich beschloss zu schweigen. Ich hätte ohnehin nicht viel sagen können.
    Nach ein, zwei Minuten blickte ich auf meine Uhr.
    »Ich denke, wir treiben jetzt mal besser Toby und die Mädchen zusammen.« Ich stieß Teddy ein letztes Mal fest an. »Wir müssen ja noch zurück und Sophies Sachen für ihre Übernachtung zusammensuchen.«
    Auf dem Heimweg blieb Karen im Auto weiterhin schweigsam, und ich fand, ich sollte sie nicht drängen. Ich war mir nicht sicher, ob sie die Sache für sich behalten würde, beziehungsweise, was geschähe, wenn sie beschloss, es jemandem zu erzählen. Es war ja nicht so, dass ich einfach meine Taschen packen und zu meinem alten Leben als Jessica zurückkehren konnte. Ich war nun einmal hier und schien auch gar keine andere Wahl zu haben.
    Nach unserer Heimkehr hatten die Kinder wieder Hunger, und ich stellte einen großen Topf mit Nudeln auf. Unterdessen nahm ich die Wäsche von der Leine, schickte die Mädchen in den Garten, damit sie ihre Tiere fütterten, und sammelte ihre mit Stroh übersäten Mäntel und Stiefel ein.
    Karen

Weitere Kostenlose Bücher