Mein Tag ist deine Nacht
durchflutete eine Welle der Erleichterung. Wenn er bereit war, sich anständig zu be-nehmen, dann würde mein Herz für diesen Mann milde gestimmt, der durch die Veränderungen in seiner Frau fast genauso irritiert sein musste wie ich über mich selbst.
Er folgte mir in die Küche und nahm an der Frühstückstheke Platz. Ich stellte ihm sein Essen hin.
»Gut sieht das aus«, meinte er und nahm einen Mundvoll. »Es fällt mir schwer, mich an das neue Dich zu gewöhnen.« Er spülte mit seinem restlichen Whisky nach. »Dir scheinen die Kinder sehr am Herzen zu liegen.«
»Nach meiner Begegnung mit dem Tod denke ich wohl, ich dürfte bei ihnen auf keinen Fall etwas versäumen«, wich ich aus. »Man weiß ja nie, was vor einem liegt.«
»Allerdings«, meinte er und musterte mich genau. »Die Sache ist jedoch die, dass ich, wie ich schon heute Morgen sagte, gehofft hatte, wir könnten zu zweit etwas unternehmen. Ich weiß, heute wolltest du die Kinder einschließen, aber würdest du vielleicht heute Abend mit mir ausgehen wollen, also nur wir beide? Karen würde sich sicher bereit erklären aufzupassen.«
Ich fragte mich, ob meine neu entdeckte Versöhnlichkeit so weit reichte, dass ich mit ihm Zeit verbrachte, und dachte mir dann, ich könne ihm vielleicht eine Chance geben, alles wiedergutzumachen.
Es war acht Uhr. Frankie musste bald nach draußen gelassen werden. Der heutige Abend kam nicht in Frage.
»Grant, ich bin wirklich müde.« Ich sah, wie er ein langes Gesicht machte. »Aber morgen ist Samstag. Ich könnte lange ausschlafen, und dann könnten wir später vielleicht zusammen ausgehen?«
Grant strahlte mich an, und ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass man ihn so leicht glücklich machen konnte. Vermutlich wollte er auch nicht mehr als jeder andere auch: jemanden, der ihm das Leben leichter und ihn glücklicher machte.
»Wohin würdest du denn gern gehen?«
»Keine Ahnung. Worauf hättest du denn Lust?«
Er streckte die Hand aus, und mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen.
Sein Hand war kühl und trocken, aber nichts daran elektrisierte mich, wie das bei Dan der Fall gewesen war.
»Dass man sich immer wieder daran erinnern muss, dass du nichts über mich weißt, ist sehr eigenartig. Wie wär’s mit Kino, würdest du dir gern einen Film ansehen?«
»Mir ist es gleich!«
»Und wenn wir essen gingen? Wir könnten den neuen Italiener im Dorf ausprobieren.«
»Ja, das ist eine gute Idee!«
Kurz danach ging ich nach oben, vergewisserte mich, dass die Schlafzimmertür verriegelt war und stieg dann zwischen die frischen Laken, mit denen Elsie das Bett an diesem Morgen bezogen hatte. Trotz der frühen Stunde war ich richtig müde. Sich um vier Kinder zu kümmern, war wahrlich ein Knochenjob.
Es schien, als würde ich in Sekundenschnelle die Augen wieder öffnen und mich als Jessica im Bett aufsetzen. Frankie war entzückt, mich zu sehen, und sprang bellend um mich herum, als ich zur Haustür ging. Kaum hatte ich sie geöffnet und damit einen kalten Windstoß hereingelassen, da schoss sie auch schon in den Garten hinaus, schnüffelte herum und verrichtete ihr Geschäft.
Ich nahm meine Halbliterflasche entrahmter Milch von der Schwelle und dachte dabei an die zweieinhalb Liter Milch, die täglich im Haushalt der Richardsons angeliefert wurden. Selbst mein Kühlschrank kam mir, verglichen mit dem großen amerikanischen Modell in Laurens Heim, das auf Knopfdruck Eiswürfel und kaltes Wasser bereithielt, mit einem Mal winzig vor.
Ich rief Frankie wieder herein, stellte den Kessel auf und ging den mageren Poststapel durch. Er bestand aus einer Werbung für billige Pizzen, zwei Briefen von Wohlfahrtseinrichtungen, die ich diesen Monat bereits unterstützt hatte, und einem von Hand adressierten Brief, der – wie ich sofort an der Schrift erkannte – von meiner Mutter stammte.
Ich riss den Umschlag auf und zog eine Genesungskarte heraus, auf der meine Mutter schrieb, sie hoffe, ich würde mich warm halten und anständig essen. Unsere Familie hatte sich nie besonders nahe gestanden, aber ihre Bemutterungsversuche aus der Ferne vermittelten mir das Gefühl, dass sie sich sorgte. Ich fragte mich, ob sie mich, wenn sie wüsste, dass ich vierfache Mutter war, immer noch wie ein Kind behandeln würde.
Im Vorratsschrank herrschte gähnende Leere, und ich machte mir im Geiste eine Notiz, dass ich einkaufen und meine Vorräte aufstocken müsste. Nur noch die halbe Zeit Jessica zu sein,
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