Mein Traummann die Zicke und ich
Tisch ist mit dem besten Tafelsilber gedeckt, und überall brennen Kerzen. Sie tauchen den großen, von den mittlerweile über uns angekommenen Regenwolken frühzeitig verdunkelten Raum in ein warmes Licht.
Mit den vielen Kerzen und dem riesigen knusprigen Truthahn im Zentrum des Tisches und Aric davor, der mit gezücktem Messer darauf wartet, ihn zu zerlegen, meinem Berg in Butter schimmernden Rosenkohls und der klassischen Musik im Hintergrund fühlt es sich an wie Weihnachten.
Ich mache den Fehler, das laut zu sagen, und schon greift Elspeth in eine Schublade des riesigen Sideboards und holt strahlend Weihnachtshüte und Knallbonbons heraus.
»Deine Familie ist ja völlig verrückt«, sage ich zu Sollie, während Elspeth eine goldene Papierkrone auf meinen Kopf setzt und einen Piratenhut auf Sols.
»Ja, aber in einem guten Sinne«, erwidert er, rückt sich den Hut schräg auf dem Kopf zurecht und zwinkert mir zu.
»In einem sehr guten Sinne«, sage ich grinsend.
»Sie sind nicht immer so, wirklich nicht, sie sind nur froh, dass wir alle mal wieder zusammen sind. Und weil das so selten vorkommt, nehmen sie es zum Anlass, mal eine Woche lang Party zu machen. Nur wenige von uns kommen regelmäßig hierher, und alle gleichzeitig eigentlich nie.«
Hey, das sind gute Nachrichten. Jedenfalls für mich. Wenn ich mich geschickt anstelle, muss ich Pippa vielleicht überhaupt nicht treffen. Ich muss nur vor Dienstag das Weite suchen und es dann immer so einrichten, dass wir nie gemeinsam
mit ihr in diesem Haus sind. Und was die Hochzeit betrifft, kann ich immer noch den ganzen Tag verschleiert bleiben.
Träum weiter, Violet.
Ich komme nicht darum herum, sie zu treffen, und ich muss einen Weg finden, damit umzugehen. Umgeben von diesem wundervollen Klan erscheint mir Pippas Ankunft und alles, was damit zusammenhängt, plötzlich weniger real und gar nicht mehr so schlimm. Wenn sie nur ansatzweise so ist wie der Rest der Familie, kann sie mit dem Mädchen, das ich einmal kannte und verabscheute, eigentlich nichts mehr gemeinsam haben.
Aric zerlegt den Truthahn und reicht die Stücke herum, und wir nehmen uns Bratkartoffeln, Gemüse, Cranberry-Gelee, Füllung, Sauce, und die Berge auf unseren Tellern werden höher und höher, und dann füllt Silas unsere Gläser mit einem tiefroten Bordeaux und schlägt mit einer Gabel gegen seins.
»Bevor wir loslegen, einen Toast … auf die Familie.«
Alle erheben die Gläser.
»Auf die Familie«, wiederholen wir, aber in dem Moment, als ich mein Glas an die Lippen führe, donnert es bedrohlich über unseren Köpfen, und gleich darauf erhellt ein zuckender Blitz den Himmel. Wie in einem Cluedo-Spiel gibt es einen Kurzschluss, Fleur stößt einen Schrei aus, die Tür fliegt mit einem Knall auf, und auf der Schwelle zeichnet sich die Silhouette eines menschlichen Körpers ab.
»Überraschung«, ruft eine Stimme, die mir nur allzu bekannt vorkommt. »Ich bin zu Hause!«
Kapitel 8
W eihnachten ist vorbei.
Schlimmer noch.
Eins der Rentiere hat sich in einen Werwolf verwandelt und den Nikolaus gefressen.
Ich habe das superaufregende, riesige Geschenk aufgemacht, das wunderschön verpackt schon seit drei Tagen unter dem Christbaum liegt und auf mich wartet, und als ich es auspacke, ist es eine Kiste voller Hundehaufen.
Mit anderen Worten: Pippa ist eingetroffen.
Passenderweise begleitet von Blitz und Donner.
Sie nach all der Zeit wiederzusehen, hat einen Effekt auf mich, als wäre ich wieder fünfzehn, und mein kleines Herz pocht so schnell, dass man meinen könnte, ich nähme gerade am London-Marathon teil. Entsetzen kriecht in mir hoch wie Galle.
Ich schlucke es schnell herunter. Ich bin schließlich schon seit Jahren über das Ganze hinweg.
Bin ich das?
Warum stehen mir dann alle Haare zu Berge, und warum verspüre ich das plötzliche Bedürfnis, aufs Klo zu rennen und den Truthahn auszukotzen, den ich noch gar nicht gegessen habe?
Warum bin ich davon überzeugt, dass sie mir folgen und meinen Kopf in der Toilette runterspülen würde?
»Ich habe beschlossen, mir von Jonathans blödem Job nicht unser Wiedersehen verderben zu lassen, und bin einfach früher
ohne ihn gekommen …«, ruft sie aufgeregt und macht die Runde durch die Familienmitglieder, die alle begeistert von ihren Stühlen aufgesprungen sind, um sie zu begrüßen, mit Lippen so rot wie englische Briefkästen und zum Kusse geschürzt.
Mir fällt auf, dass ihre Küsse bei Onkel Silas nicht ganz treffen,
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