Mein Traummann die Zicke und ich
Pippas Schulter ruht, die ganze Bandbreite der Gefühle von Angst zu Dankbarkeit widerspiegeln muss, was wahrscheinlich ziemlich eigenartig aussieht.
Er zwinkert mir zu.
Ich weiß nicht, warum, aber ich bin ihm dankbar dafür; es ist ein bisschen wie eine tröstende Hand auf deiner Schulter, wenn du traurig bist.
Und dann lässt sie mich endlich wieder los, und ich kann wieder atmen.
Zu meinem Glück sind die anderen alle furchtbar neugierig und wollen tausend Dinge wissen. Sie drängen sie regelrecht, ihr Gepäck ihrem Vater zu geben, der es in ihr Zimmer bringt, und sich auf einen Stuhl zu setzen, wo sie ein Glas mit etwas Sprudelndem ausgehändigt bekommt und dann von Elspeth und Misty mit Fragen bombardiert wird.
»Wie ist es in Paris?«
»Bist du dünner geworden?«
»Wo ist Jonathan, warum kommt er so spät, arbeitet er denn immer noch so viel?«
»Bleibt es dabei, dass er am Dienstag nachkommt?«
»Wie ist das neue Haus, gefällt es euch besser als die Wohnung?«
»Was macht dein Französisch? Du musst es ja mittlerweile fließend sprechen, es war letztes Mal schon so gut.«
»Wie war deine Reise?«
»Hast du keinen Hunger? Du musst doch Hunger haben!«
Sie hat keine Chance, auch nur eine der Fragen zu beantworten, da ist Elspeth schon unterwegs in die Küche, wo sie den Nachtisch holt, eine monströse Kreation aus Baiser, Sahne und Obst in der Größe eines Vulkans. Sie wird von Aric begleitet, der mit zwei Flaschen Champagner winkt.
»Lasst uns darauf anstoßen, dass mein Mädchen zu Hause ist!«, ruft er freudig, und die Party beginnt.
Diese Familie liebt es offensichtlich zu feiern – keine Ausrede ist zu fadenscheinig, um die Musik an- und die Flaschen aufzumachen. Kein Wunder, dass Sollie nur wenige Male im Jahr herkommt, man braucht Monate, um zwischen den Besuchen wieder nüchtern zu werden.
Während also Dessert und Champagner in gleich großen Mengen verteilt werden, sitze ich ein paar Plätze entfernt von Pippa auf derselben Seite des Tisches, sodass wir uns nicht sehen können, wenn wir keine Anstalten dazu machen, was mir wie gerufen kommt.
Ich kann ihr Gesicht allerdings sehen, wenn ich in den Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite schaue, was ich auch andauernd verstohlen tue, so wie ein Affe im Zoo Nüsse stibitzt – schnapp und weg, schnapp und weg, schnapp und weg. Und bloß nicht erwischen lassen.
Ich ertappe sie dabei, dass sie das Gleiche tut, und sie sieht mich auch, lächelt aber darüber. Sie wird immer noch von ihrem Vater und ihren Stiefmüttern ausgefragt. Elspeth sitzt zu ihrer einen Seite, Mistral zur anderen, ihr Vater schräg gegenüber am Kopfende des Tisches.
Mann, stellen die viele Fragen, das kommt mir seltsam vor,
aber hey, dies ist Sollies Familie, sie ist eben anders als meine, wo man höchstens fragt, wie es mir geht und was die Arbeit macht, bevor man zur Tagesordnung übergeht.
Nach dem Essen – der Sturm ist mittlerweile vorbei und die Wärme des Herbstes zurückgekehrt – gehen wir zum Kaffee wieder hinaus auf die Terrasse.
Ich liebe den Geruch der Luft und der Erde nach einem Gewitter, es riecht so frisch und rein, als hätte der Regen jeden Schmutz aus der Luft gespült.
Die Pippa-Inquisition ist mehr oder weniger zu Ende, und alle benehmen sich wieder normal. Onkel Silas legt Musik auf und greift nach seinem Cocktail-Shaker, Elspeth und Marilyn kabbeln sich gutgelaunt, Aric bietet weitere Drinks an, und Mistral trinkt sie. Fleur und Sollie plaudern über alte Zeiten.
Nur ich beteilige mich nicht recht am Geschehen heute Abend, weil ich versuche – so unauffällig wie möglich -, hinter Sol zu verschwinden und mich unter dem schützenden Mantel des Efeus zu verbergen, der auf dieser Seite des alten Gebäu – des von den Wänden hängt. Ein Trick aus alten Kriegszeiten: Camouflage. Wenn sie mich nicht sieht, denkt sie vielleicht nicht über mich nach. Halb versteckt hinter der Kletterpflanze und halb hinter Sols breitem Rücken behalte ich Pippa, Entschuldigung, Philly im Auge. Ich muss mich daran gewöhnen, sie so zu nennen; wenn ich mich nur einmal verplappere, aktiviert das vielleicht ihre Erinnerung, aber es ist so schwierig, sie war eben immer nur Pippa für mich, oder besser gesagt: Pippa und weniger wohlklingende Namen, die ich an dieser Stelle lieber nicht wiederhole.
Sie plaudert mit Adam, der wie ein lässiger Harvard-Student an der Mauer lehnt; sie stecken die Köpfe zusammen, damit keiner bei ihrer Unterhaltung mithören
Weitere Kostenlose Bücher