Mein Traummann die Zicke und ich
»Norris ist zwar nicht da, aber dein Vater ist gerade mit einer großen Rolle Isolierband und einem Knäuel Bindfaden hier vorbeigekommen.«
»Na, dann haben wir es doch. Sie sind alle unterwegs nach unten in die geheimen Sexräume, wo sie eine kleine Fesselorgie feiern werden.« Er küsst mich auf den Scheitel meines Kopfes und geht.
»Was machst du?«, frage ich ihn.
»Ich gehe wieder ins Bett.«
»Willst du denn nicht wissen, was die vorhaben?«
»Nicht unbedingt, nein. Komm zurück ins Bett, du Dussel.«
»Ich kann nicht schlafen«, entgegne ich, weil ich weiter den Flur beobachten will.
»Wenn du wirklich nicht schlafen kannst, könnten wir ja auch ein kleines Fesselspielchen inszenieren.« Er hält die Decke hoch und klopft einladend auf meine Seite des Betts.
Ich tue so, als würde ich einen Moment darüber nachdenken,
bevor ich mit einem Lächeln alles sage, was es zu sagen gibt.
»Dann verbinden wir dir mal die Augen«, verkünde ich grinsend. »Ich weiß nämlich schon, an welcher Stelle ich den Tacker ansetzen werde.«
Kapitel 17
A m nächsten Morgen stolpere ich mit vom Schlafmangel roten Augen hinter Sol die Treppen hinunter, wobei ich eine Hand auf seine Schulter lege, um nicht hinzufallen.
Ich muss unbedingt ein Mittagsschläfchen machen, bevor die Party losgeht, sonst halte ich wie Aschenputtel nicht bis Mitternacht durch. Diese Woche war ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt: Höhen und Tiefen haben sich in affenartiger Geschwindigkeit abgewechselt, und du wirst in den Sitz gepresst und schreist, und am Ende der schaurig-schönen Fahrt bist du vollkommen erschöpft, dein Adrenalin ist verbraucht, der rote Zeiger steht auf »Leer«.
Als wir also die Eingangshalle erreichen und uns ein Stimmenchor »Überraschung!« entgegenruft, weiß ich nicht, ob ich mich freuen oder aus den Latschen kippen soll.
Ich sehe mich zum ersten Mal an diesem Morgen richtig um und stelle fest, dass die große Eingangshalle nicht mehr nur eine Eingangshalle ist. Sie ist ein Wunderland aus Flaggen und Schildern und Ballons, auf denen »Herzlichen Glückwunsch«, »Gratulation« und »Verlobung« steht, und zwar in allen möglichen Schriften, Farben und Formen.
Das war also heute Nacht hier los.
»Überraschung«, wiederholt auch Sollie.
»Du wusstest davon?«, frage ich mit vor Überraschung und Freude geweiteten müden Augen.
Er nickt. »Meine Aufgabe war es, dich zu … äh … beschäftigen.«
»Oh, dann war das heute Nacht alles reine Pflichterfüllung, was?«, flüstere ich ihm zu.
»Irgendwie musste ich dich ja davon abhalten, alle fünf Minuten das Bett zu verlassen.«
»Und ich dachte, es war eine Verlängerung des Versöhnungssex«, hauche ich, werfe meine Arme um ihn und gebe ihm einen Kuss aufs Kinn. Und dann fällt mir wieder ein, dass wir nicht allein sind, sondern in der Eingangshalle stehen, wo uns ein Haufen Leute erwartungsvoll ansieht.
Ich werde ein bisschen rot, löse mich aus der Umarmung mit Sol, drehe mich zu den anderen um und rufe: »Ihr seid so toll! Vielen Dank, das sieht großartig aus!«
Alle stürmen auf mich zu, um mich zu umarmen, und während sich auch die anderen um den Hals fallen, sich gegenseitig zu ihrem gemeinsam vollbrachten Werk gratulieren und so erfreut aussehen, weil sie mir eine Freude gemacht haben, überkommt mich eine Welle großer Emotionen.
Sie haben das alles getan, um mich glücklich zu machen.
Sie haben sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, um wie die Verrückten die Eingangshalle und den großen Saal für die Party heute Abend vorzubereiten, und das alles nur, um mich damit zu überraschen. Sie haben es für mich getan.
Diese Menschen mögen mich.
Diese Menschen möchten von mir gemocht werden.
Ich bin überrascht davon, was ich mir sogleich zum Vorwurf mache. Ich bin schrecklich, weil ich immer denke, dass die anderen mich nicht mögen könnten. Das ist ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen mich andere wirklich nicht mochten. Zeiten, in denen Menschen, die vor kurzem noch meine Freunde waren, die mit mir ihre Bücher, Klamotten, ihr Essen und ihr Lachen teilten, Menschen, die mit mir durch dick und dünn gingen, plötzlich zu Menschen wurden, die mir im Flur ein Bein
stellten, die mich mit Schimpfnamen belegten, überall schlecht über mich redeten und mich für etwas bestraften, von dem ich bis heute nicht weiß, was es war.
Neue Leute zu treffen ist deshalb schwierig für mich, und gerade fühle ich mich wieder wie damals in der
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