Mein ungezähmter Highlander
Schenkeln erwarteten. Dieses stolze Erbe, das von seinem Vater, Tormod, auf seinen älteren Bruder, William, übergegangen war. Ein Erbe, das nie für Rory bestimmt gewesen war, aber das er nach dem vorzeitigen Tod seines Bruders und seines Neffen John bereitwillig angenommen hatte.
Das Wohlergehen des Clans hing von der Stärke seines Chiefs ab. Im Gegenzug für ihre absolute Loyalität erwarteten die Clanmitglieder, dass der Chief sie beschützte und versorgte. Der Chief war der Anführer im Krieg, er war derjenige, dem das Land gehörte, und der zu Gericht saß und Recht sprach – er besaß alle Befugnisse über den Clan. Ein Chief ohne Ehre, ein Mann, der sein Wort nicht hielt, ließ den Clan im Stich. Denn Stolz war es, der den Clan erhielt, und ohne ihn würde er untergehen.
Rorys Erbe als Chief der MacLeods bedeutete, dass die Pflicht dem Clan gegenüber über allem stand. Pflicht stand über persönlichen Bedürfnissen. Den MacLeods war von den MacDonalds Schmach zugefügt worden, und er musste nun dafür sorgen, dass die Ehre des Clans wiederhergestellt wurde. Voller Abscheu schüttelte er den Kopf. All das hätte er beinahe vergessen, wäre da nicht die unschuldige Zurückweisung gewesen, die den Bann gebrochen und ihm mit aller Macht wieder seine Verantwortung zu Bewusstsein gebracht hatte.
Aber sie hatte nun einmal mit dem Feuer gespielt. Er hatte sie gewarnt und ihr gesagt, sie solle ihn nicht wieder in Versuchung führen. Er war auf sich selbst und auf sie wütend gewesen, weil er ihr so leicht in die Falle gegangen war, sodass er in blindem Zorn hatte um sich schlagen müssen. Und wenn er ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, dann hatte er mit seinen Worten ins Ziel getroffen.
Seine Zurückweisung hatte sie verletzt. Sie hatte ihn angestarrt, als wäre er ein Jäger, dessen Pfeil direkt in ihr Herz gedrungen war. Ihr Schmerz war echt gewesen.
Er drückte seine Hand gegen den kalten Fenstersims aus Granit. Normalerweise fand er im Anblick des Meeres ein bisschen inneren Frieden, doch heute war dies nicht der Fall.
Als Kind – voll mit den phantasievollen Geschichten der Barden – hatte er sich vorgestellt, die schimmernden Schuppen auf den Schwänzen der Meerjungfrauen, den Maighdean na Tuinne , zu sehen, die ihm vom im Sonnenschein funkelnden Wasser aus zuwinkten. Natürlich wusste er jetzt, dass es nur Robben gewesen waren. Wie lange das zurückzuliegen schien. Er erinnerte sich kaum noch an das sorglose Kind, das er gewesen war, ehe er völlig von seiner Verantwortung vereinnahmt wurde.
Ein Reiher stieß in einem perfekten Bogen ins Wasser und
kam mit einem Fisch im Schnabel wieder heraus. Rory genoss den Anblick der Natur, denn die Tage würden bald kürzer werden, sodass die herrlichen Farben wieder hinter einem Schleier aus grauem Nebel und heftigem Regen verschwanden. Der Sommer nahm langsam Abschied, und ein kalter Wind wehte an einem immer noch sonnigen Tag.
Aber sogar während er das beruhigende Wogen des Meeres beobachtete, dessen Wellen sich fast wie nach einer geheimnisvollen Melodie hoben und senkten, gingen ihm diese strahlend violetten Augen nicht aus dem Sinn, die ihn so schmerzerfüllt angeblickt hatten. Hatte sie wirklich nur nach einem Buch gesucht? Es überraschte ihn, wie sehr er ihr Glauben schenken wollte. Wenn schon Zweifel bestanden, sollte er ihr vielleicht das Recht einräumen, dies zu ihren Gunsten auszulegen.
Rory trat vom Fenster weg und ging direkt zur Waschschüssel auf der anderen Seite des Zimmers. Er spritzte sich das kalte Wasser ins Gesicht, das die Müdigkeit vertrieb. Er zog sich schnell und ohne dabei groß nachzudenken an – das komplizierte Anlegen des Kilt war ihm nach vielen Jahren der Übung in Fleisch und Blut übergegangen.
Sie hatte behauptet, in der vergangenen Nacht nach der Bibliothek gesucht zu haben. Er rieb sich nachdenklich das unrasierte Kinn. Er hatte nie darüber nachgedacht, einmal eine gelehrte Ehefrau zu haben, doch er merkte, dass ihm die Vorstellung gefiel. Es zeugte von einer gewissen inneren Kraft. Er war der Erste aus seinem Clan, der in den Genuss einer Universitätsausbildung gekommen war. Lesen war seine Leidenschaft und eine Möglichkeit, sich zu zerstreuen – eine andere als mit einer Frau der Leidenschaft zu frönen. Rory war stolz auf seine umfangreiche Bibliothek und erwarb auf allen Reisen stets neue Bücher. In Isabel war mehr, als er je erwartet hatte.
Vielleicht würde er ihr ein Buch bringen. Auf
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