Mein ungezähmtes Herz
sich wieder Devil zu, der ihn mit einem amüsierten, aber verständnisvollen Grinsen musterte. Zu Dels Erleichterung machte sein alter Freund keine Bemerkung über Deliah, sondern entschloss sich stattdessen, seine Spottlust auf Gyles zu konzentrieren, der gerade angeschlendert kam.
Was Gyles sich natürlich nicht gefallen ließ. Del lachte und spürte, wie die Jahre von ihm abfielen. Auch wenn sie nicht mehr auf dem Schulhof in Eton standen und im Laufe der Jahre vieles anders geworden war, manche Dinge – Freundschaften und Bindungen – änderten sich nie.
»Wie geht’s deiner Tochter?«, erkundigte Devil sich bei Gyles.
»Anders als ich gedacht habe, geht es ihr offenbar gut. Koliken sind, wie man mir gesagt hat, etwas, das Kinder – und Eltern – einfach aushalten müssen.«
Devil schnitt eine Grimasse.
»Ich wüsste lieber ein Gegenmittel.« Er ließ den Blick von Honoria zu Francesca wandern, die in einer anderen Gruppe stand.
»Ich begreife nicht, wie sie anscheinend ohne jede Schwierigkeit unterscheiden können, welches Weinen auf ernsthafte Schmerzen hinweist und welches bloß auf schlechte Laune.«
»Sag mir Bescheid, wenn du’s herausgefunden hast.« Gyles schüttelte den Kopf.
»Du hättest mich davor warnen sollen, wie … anstrengend eine Frau und eine Familie sein können.«
Devil zuckte die Achseln.
»Das hat keinen Zweck – so etwas steht in den Sternen. Es ist nicht zu vermeiden.« Er grinste und wechselte einen Blick mit Gyles.
»Also sollten wir es besser genießen.«
Die Augen auf Francesca gerichtet lachte Gyles.
»Stimmt.« Dann sah er Del an.
»Und was ist mit dir, Del? Wie sieht deine Zukunft aus?«
Weder Gyles noch Devil sahen zu Deliah hin, doch Del wusste, dass sie etwas ahnten … Er machte eine lässige Handbewegung.
»Darüber habe ich noch nicht richtig nachgedacht. Als sich mir plötzlich diese Aufgabe gestellt hat, erschien es mir sinnvoller, die Zukunftsplanung zu verschieben, bis die Sache erledigt ist.«
»Manchmal«, sagte Devil, »klopft das Schicksal einfach an die Tür.«
»Bei uns war’s jedenfalls so«, bestätigte Gyles.
»Und es gibt keinen Grund, warum es bei dir nicht genauso sein sollte.«
Del lächelte.
»Wir werden ja sehen.«
Die Unterhaltung wandte sich anderen Themen zu, doch die Vorstellung, zu heiraten und eine Familie zu gründen, in der fruchtbaren Erde Englands Wurzeln zu schlagen und ein richtiges Heim zu haben – aus Delborough Hall ein echtes
Zuhause zu machen – geisterte weiter durch Dels Kopf und drängte sich jedes Mal, wenn er mit einem der anderen Cynsters sprach, wieder in den Vordergrund, denn diese Männer, die er so gut kannte, schienen genauso mit sich im Reinen zu sein wie Devil und Gyles.
Ein so zufriedenes Leben wünschte er sich auch, und er hatte das Gefühl, es verdient zu haben.
Wieder und wieder kehrte sein Blick zu Deliah zurück.
Del war nicht überrascht, als er feststellte, dass sie ihm als Tischdame zugeteilt war. Mit gut gespielter Gelassenheit, die aber weder ihn noch sie täuschte, geleitete er sie zu Tisch.
Dels dunkle Augen glühten, und die warme Hand, die ihren Rücken streifte, als er sie zu ihrem Stuhl führte, war besitzergreifend. Deliah merkte es und genoss es in gewisser Weise, tat aber, als sei ihr nichts aufgefallen.
Sie saßen an der langen Tafel, unterhielten die anderen mit Geschichten aus Indien und Jamaika, und Deliah konnte sich nicht erinnern, jemals so entspannt gewesen zu sein. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, einfach sie selbst sein zu dürfen, mit anderen zusammen sein zu können, ohne ständig über das, was sie sagte und tat, nachdenken zu müssen.
Die Freiheit zu haben, so zu sein, wie sie war, denn in dieser Gesellschaft war ihr wahres Ich nicht besonders bemerkenswert – weder schockierend noch fehl am Platz. In diese Runde passte sie.
Die Männer hatten ihre Bewunderung für Madame Latours umwerfendes Kleid offen eingestanden. Und die Damen hatten allesamt nach der Adresse des Ladens gefragt. Honoria und Alathea hatten sogar wissen wollen, ob sie noch andere
Kreationen der Modeschöpferin mitgebracht habe und ob sie sie sehen dürften.
Nie zuvor hatte Deliah irgendetwas mit anderen Frauen geteilt. Für ihre Geschlechtsgenossinnen war sie immer … zu viel gewesen. Zu freimütig, zu eigensinnig, zu zupackend – zu auffällig. Zu groß, zu kurvig, zu schlagfertig.
Das Wörtchen zu war stets dabei gewesen, wenn andere sie beschrieben
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