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Mein Vater der Kater

Mein Vater der Kater

Titel: Mein Vater der Kater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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vierzig gewesen war – sie gehörten ja alle zu einer Altersgruppe. Im College hießen sie nur die ›Clifton-Bande‹ – nach einem Professor, den sie alle tief verehrten und der später ihre liberalen Ideale verraten hatte, indem er einen Job in Reagans Regierung angenommen hatte. Sie waren alle überrascht gewesen, als Vicky Stan Fallen geheiratet hatte, einen untersetzten, bedächtigen jungen Mann, der der Ruhigste der Gruppe gewesen war. Am Ende waren sie jedoch zu der Ansicht gelangt, daß die nach Höherem strebende Vicky einfach jemanden wie Stan brauchte, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren.
    John hatte keine Ahnung, wie Vicky gestorben war. Penny Dodgson, die ihm die Nachricht übermittelt hatte, meinte, es sei irgendeine Infektion gewesen. Jack Leeds hatte gehört, es habe sich um eine Kopfverletzung gehandelt, die sie sich bei einem Sturz zugezogen habe. Sally Goldmark rief aus Los Angeles an, um von John zu erfahren, was er wußte, und das war nicht viel.
    »Ich denke, ich sollte mal zu Stan gehen«, sagte er. »Es hat ihn ganz schön hart getroffen.« Noch während John das sagte, wurde ihm klar, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach nichts dergleichen tun würde. Er hatte Stan Fallen schon seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, und der Gedanke, Zeuge seines Schmerzes zu werden, war zu deprimierend.
    Die Entscheidung wurde ihm jedoch nur einen Tag nach Sallys Anruf endgültig abgenommen, denn Stan Fallon rief seinerseits an und fragte, ob John ihn mal besuchen würde. John sah keine Möglichkeit, das abzulehnen, hatte nichts, womit er sich hätte entschuldigen können. Er war geschieden, es gab keine Kinder, er war kürzlich von dem Verleger, für den er arbeitete, entlassen worden und wartete auf die Stellungnahmen zu einer Menge Resümees. Er war also nicht einmal ein schwer beschäftigter Mann.
    Stans Vorstadthaus tat sich nur durch sein vernachlässigtes Aussehen hervor. John erwartete, Stan in einem ähnlichen Zustand anzutreffen, aber als dieser ihm öffnete, war er sauber gekleidet und glatt rasiert. Außerdem hielt er eine Flinte in der Hand.
    Es war eine großkalibrige Schrotflinte mit Doppellauf, und Stan schien sie erst zu bemerken, als sie sich die Hand gaben.
    »Reinige sie gerade«, murmelte er, und da war nicht einmal die Andeutung einer Entschuldigung. »Vicky hat das verdammte Ding gehaßt, gemeint, ich solle mich davon trennen, wo ich doch schon seit Jahren nicht mehr auf die Jagd gegangen sei... Laß uns ins Arbeitszimmer gehen.«
    Er ging mit hängenden Schultern voraus. Das Arbeitszimmer war eines, das um eine Klischeevorstellung herumgebaut worden war – da gab es einen ausgestopften Elchkopf, einen Schreibtisch, auf dem kein einziger Bogen Papier lag, einen Lehnsessel und einen Schaukelstuhl. Stan wählte den letzteren und ließ John keine Alternative.
    »Stan«, sagte dieser, »ich kann dir gar nicht sagen, wie –«
    So weit kam er, weiter nicht. Stan hob die linke Hand in die Höhe wie ein Verkehrspolizist. »Nein«, sagte er, »ich mag kein Mitgefühlsgerede hören, John, damit haben mich die beiden Familien reichlich eingedeckt. Ich weiß, was du empfindest. Speziell du.«
    »Ich?« sagte John.
    Stan nahm einen Lederlappen zur Hand und begann, die Läufe der Flinte blankzureiben.
    »Natürlich«, sagte er. »Du mehr als irgend jemand sonst. Noch vor einem Monat hätte ich das nicht gedacht, aber jetzt...« Er klappte die Flintenläufe nach unten und blies in die leeren Kammern. Dann langte er in die Pappschachtel auf dem Fußboden und entnahm ihr eine dicke Patrone. Er führte sie vorsichtig in die Kammer ein und lud dann auf eben diese Weise auch die zweite.
    John sah ihm mit Unbehagen zu und sagte: »Hast du irgend etwas auf dem Herzen, Stan? Ich meine, wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Bei deiner vielen Rumreiserei ...«
    »Ja, stimmt«, sagte Stan. »Ich bin eine Menge gereist, nicht wahr? Tu ich immer noch. Hab nie gedacht, daß die Reiserei ein Problem werden könnte, dachte, sie gehöre einfach zum Job. Vicky machte es nichts aus. Vicky meinte, sie sei gerne allein, sie hänge gern so im Haus rum. Ich wußte bloß nicht, was sie mit ›herumhängen‹ meinte.«
    Er hob die Flinte zur Deckenlampe und blinzelte durchs Visier. Dann senkte er die Waffe langsam, bis die Läufe auf Johns Brust gerichtet waren.
    »Um Himmels willen, was soll denn das?«
    »Oh, das werde ich dir sagen«, meinte Stan und hielt die Flinte ganz ruhig. »Wäre nicht recht, dir den

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