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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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nach unten. Reges Treiben auf der Straße. Journalisten strömten dem Museumseingang entgegen. Viele Kamerateams waren dabei.
    Sie alle hatten schon im Vorfeld mit mir telefoniert.
    «Herr Schmitt, hier Rhein-Main TV. Wir wollen ein großes Feature über Sie machen, aber nicht so die übliche Geschichte, wir müssen das exklusiv haben.»
    «Hier Äppelwoi TV. Herr Schmitt, wir wollen einen Riesenbericht über Sie bringen, aber den brauchen wir unbedingt exklusiv.»
    «RTL Hessen TV, Lechbrinker am Apparat. Wir machen einen Dreiminüter über Sie, aber nur, wenn wir’s exklusiv kriegen.»
    Alle Kamerateams wollten immer Extrawürste. Alle? Nein, nicht alle.
    «Der Hessische Rundfunk. Herr Schmitt, wir wollen in der ‹Hessenschau› was über Sie bringen, was alle anderen schon längst gebracht haben, nur mit ruhigeren Bildern. So ein schöner Dreißigsekünder. Wir schicken morgen mal zwei Redakteure, die kommen mit fünf Mann, wir haben sechs Stunden Drehzeit angesetzt. Sie können ja schon mal ein paar witzige Ideen vorbereiten, dann geht’s schneller.»
    Allen Anrufern sagte ich begeistert zu: «Sie kriegen das absolut exklusiv! Für Ihren Sender würde ich alles tun, er ist ja so viel besser als all die anderen Kackkanäle.»
    Für einen politischen Newcomer wie mich war die Pressekonferenz das wichtigste Wahlkampftool überhaupt. Da ich keinerlei Wahlkampfetat und somit auch kein Geld für Plakate, Flyer oder Anzeigen hatte, war ich dringend darauf angewiesen, dass die Medien Gratis-Wahlwerbung für mich machten, indem sie über mich berichteten. Dafür musste man ihnen etwas bieten. Ein Exklusivinterview war da wohl das Mindeste – auch wenn man bei allen Exklusivterminen immer das Gleiche erzählte. In meinem Bundeskanzlerwahlkampf bin ich sogar ausschließlich auf Radio- und Fernsehwerbung angewiesen. Vom Frühstücksfernsehen übers Mittagsmagazin, die Rentner-Naschmittagsschiene bis hin zum Infotainment-Müll und Scripted-Reality-Trash auf RTL II – Oliver Schmitt nimmt alles mitt! Ich würde auch jederzeit Frauen tauschen, über meine eingebildeten Geschlechtskrankheiten sprechen, herrchensuchende Hunde aufnehmen (und hinterher wieder im Tierheim abgeben) und sogar mit Lichter und Lafer irgendwas kochen, das nicht ganz so eklig ist wie die beiden diktatorenbärtigen Kalorienbomber selber.
    Durch einen Türspalt spähte ich in den Saal. Die kleine Medienlounge war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Redakteuren, freiberuflichen Journalisten, Volontären, Praktikanten, Hospitanten und Hospitantenanwärtern. Selbstverständlich waren sie nicht wegen der Freigetränke gekommen, sondern vor allem wegen der warmen Mahlzeit, die wir ihnen in Aussicht gestellt hatten. Die «PK», wie wir Medienhasen sagen, war für die Mittagszeit angesetzt. Schließlich waren die Zeiten für einen unabhängigen, überparteilichen Journalismus schlechter denn je. Gerade in der Zeitungsstadt Frankfurt machte eine Postille nach der anderen dicht. Da musste man sehen, wo man was zu beißen bekam. Oder wo man später mal einen Job als Pressesprecher oder Internetfuzzi abziehen konnte, vielleicht sogar einen warmen Druckposten im Presseamt der Stadt, das bald mir unterstehen würde.
    Die Stimmung war gut, man plauderte und rumorte. Zwischen den Journalisten hatten sich die unvermeidlichen Nassauer breitgemacht, die auf magische Weise immer irgendwie mitbekamen, wo sich wann ein paar Freigetränke und ein Tablett Schnittchen abstauben ließen. Auch die Beobachter der anderen Parteien waren vertreten, ab jetzt war Feindbeobachtung Pflicht. Vielleicht waren sie alle aber auch gekommen, weil die Oberbürgermeisterin erscheinen würde. Dass die ehrwürdige Dame eine solche Veranstaltung durch ihre Anwesenheit adelte, war absolut außergewöhnlich.
    Nachdem ich mich als «nächster Bürgermeister von Frankfurt» hatte ankündigen lassen, nahm ich an einem prominent positionierten Tisch Platz und krempelte erst einmal die Hemdsärmel hoch. Dazu hatte mir der Inspizient geraten, er meinte, das würde Tatkraft und Entschlossenheit demonstrieren. Erst den linken. Dann den rechten. Gebannt verfolgten siebzig Augenpaare, wie ich erst den linken Manschettenknopf öffnete … und dann den rechten. So war es ja geplant. Aber der rechte Manschettenknopf klemmte. Er ging nicht auf. Das sahen auch alle. Ich bekam Schweißausbrüche. Die Fotografen schossen erste Bilder. Was tun? Mit nur einem hochgekrempelten Ärmel sah ich aus wie ein

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