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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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Frankfurt tatsächlich unter beträchtlichem Fluglärm, die Vorstellungskraft des gemeinen Wählers würde ein solches Großprojekt jedoch völlig überfordern. Viel sinnvoller sei es doch, den Flughafen einfach woandershin zu verlegen. Wo er weniger störe. «Zum Beispiel in den Taunus.»
    «Stimmt», sagte ich, «dann hat Frankfurt seine Ruhe, und die, die im Speckgürtel in Hanglage wohnen und häufig verreisen, müssen nicht mehr so weit fahren.»
    «Genau», pflichtete der Landesvorsitzende bei. «Wir bauen einen Höhenflughafen! So was gibt es in Deutschland auch noch nicht! Und weil sich die Landebahnen auf fast tausend Metern Höhe befinden, müssen die Flugzeuge nicht so weit hoch und runter beim Starten und Landen. Das spart jede Menge Benzin!»
    «Kerosin!», verbesserte ich gekonnt, und der Politkommissar kritzelte noch gekonnter sein Blöckchen voll. Und ließ nicht locker. «Sehr gut, und jetzt weiter. Was haben wir zum Thema soziale Maßnahmen? Ballungsraum Großstadt und so weiter? Da brauchen wir auch was!»
    Betretenes Schweigen.
    Dass man soziale Fragen auch noch beantworten musste, war mir neu. Hier war ich als angehender Kommunalpolitiker eindeutig überfordert. Nach kurzer, lustloser Diskussion warf ich das Wort «Parallelgesellschaft» in die Runde. Ohne dass ich genau hätte sagen können, was das eigentlich bedeutete. Der Politkommissar konnte es uns zum Glück erklären: «Schaut euch doch mal diese Bessergestellten-Wohnviertel an, Lerchesberg, Holzhausenviertel – da haben sich totale Parallelgesellschaften entwickelt. Lauter Reiche, die sich nach außen hin abschotten. Keine Gemüsetürken, keine Dönerläden, keine Handyshops, dafür aber Swimmingpools und beheizbare Carports. Eine völlig künstliche Welt, ein Reichen-Ghetto.»
    «Hier werden wir aktiv gestalten!», rief ich. «Diese Leute müssen wir sofort zwangsintegrieren, damit sie endlich wieder am städtischen Leben teilnehmen können. Wir siedeln sie einfach um – an soziale Brennpunkte.»
    Der Politkommissar nickte und notierte, ließ aber weiterhin nicht locker. «Okay, Umsiedlung haben wir, aber noch keine Umbenennung. Umbenennungen kosten wenig, symbolisieren aber viel Neubeginn. Was benennen wir um?»
    «Wir brauchen unbedingt eine Bürgermeister-Schmitt-Straße! In Mainz gibt’s schon eine, in Frankfurt aber noch nicht.»
    Es sei zu verdächtig, jetzt schon mit einer solchen Maßnahme zu kommen, entschied der Kommissar und schlug etwas Unverfänglicheres vor: «Eine Robert-Gernhardt-Straße – das finden bestimmt alle gut.»
    «Eine?», rief der Landesvorsitzende. «Nur eine? Schaffen wir zwei, drei, viele Robert-Gernhardt-Straßen! Viel bringt viel Stimmvieh!»
    Der Kampagnenchef machte sich nur eine kurze Notiz, dann sah er uns streng an. «Was ist mit Offenbach?»
    «Was soll damit sein?», fragte der Landeschef.
    «Offenbach ist unsere kleine, unbedeutende Nachbarstadt. Alle Frankfurter verachten Offenbach. Weil die Offenbacher uns hassen, weil sie arrogant sind und überheblich und jede Menge Vorurteile haben. Warum? Weil die Offenbacher so einfältig sind.»
    «Also bitte schön», ging der Landesvorsitzende dazwischen, «das ist doch Quatsch. Ich wohne schließlich kurz hinter Offenbach.» Er schaute uns streng an. «Die sind nicht einfältig! Das würde ja zumindest eine minimale Verstandestätigkeit voraussetzen. Nein, Herrschaften, die Offenbacher sind maximal hirntot, abartig abgestorbenes Gewebe, vor sich hin wesende Hautpartikel mit Darmausgang, sonst ist da absolut nichts, das kann ich jederzeit unter Eid bezeugen.»
    «Ja, Verachtung ist ’ne ganz starke Emotion», rief der Politkommissar, «die müssen wir unbedingt nutzen!»
    «Ich bin aus Offenbach», sagte die Praktikantin. «Meine Eltern stammen aus Köln, sie sind nach Offenbach gezogen, weil sie in Köln die Nähe zu Düsseldorf nicht mehr ausgehalten haben. Düsseldorf ist echt krass kaputt.»
    «Das Thema ist sehr komplex», urteilte überraschend simpel der Politruk. «Das lassen wir erst mal offen. Wir haben also Umbau, Umsiedlung und Umbenennung – was ist mit Umverteilung? Haben wir da was auf der Pfanne? Umverteilung ist total wichtig, das machen alle großen Parteien! Um glaubwürdig zu sein, müssen wir irgendwelchen Leuten was wegnehmen, um es den anderen zu geben.»
    «Und um mindestens zehn Prozent Transferprovision einzubehalten», warf der Landesvorsitzende ein. Zehn Prozent seien «das Mindeste», weniger sei «unseriös».
    Wir

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